Entscheidungsstichwort (Thema)

sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Herabsetzung der GdB-Bewertung von 50 % auf 30 %. Rechtmäßigkeit der AHP 1996. wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen: reiner Zeitablauf. Regelung in einem veröffentlichten Maßstab der Verwaltung. Heilungsbewährung nach operativer Entfernung des Rektumkarzinoms

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Ablauf einer Heilungsbewährung stellt eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse iS von § 48 SGB 10 dar.

2. Die Höherbewertung von malignen Geschwulsterkrankungen wegen der Ungewissheit des Krankheitsverlaufes (Heilungsbewährung) in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" Stand 1996 (AP 1996) verstößt nicht gegen höherrangiges Recht ( § 69 SGB 9 ).

3. Die AP 1996 haben rechtsnormähnliche Wirkung und sind in Verfahren zur Feststellung des GdB weiter von den Gerichten wie untergesetzliche Normen anzuwenden. Es besteht kein rechtlicher Ansatzpunkt, von der Rechtsprechung des BSG zu Anwendbarkeit der AP 1996 abzuweichen.

 

Normenkette

SGB X § 48 Abs. 1 S. 1; SGB IX § 69 Abs. 1 S. 4, Abs. 2; BVG § 30 Abs. 1

 

Verfahrensgang

SG Düsseldorf (Urteil vom 14.03.2002; Aktenzeichen S 31 SB 291/02)

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 18.09.2003; Aktenzeichen B 9 SB 6/02 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom14.03.2002 abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB) von 50 auf 30 wegen Ablauf der Heilungsbewährung.

Im August 1998 wurde beim 1941 geborenen Kläger ein Rektumkarzinom (PT2 NO MO) entfernt.

Mit Bescheid vom 23.03.1999 stellte der Beklagte beim Kläger einen GdB von 50 fest wegen

"Teilverlust des Dickdarms, Stadium der Heilungsbewährung".

Zur Begründung führte er aus, dass bei der Funktionsbeeinträchtigung "Teilverlust des Dickdarms, Stadium der Heilungsbewährung" eine Heilungsbewährung abzuwarten ist. Dies bedeute, dass die Auswirkungen dieser Funktionsbeeinträchtigung während der Zeit des Abwartens nicht genau beurteilt werden könne und deshalb für diese Zeit ein höherer GdB festgestellt werde. Erst nach Ablauf der Heilungsbewährung könne der GdB unter Berücksichtigung der beim Kläger tatsächlich vorliegenden Behinderungen bewertet werden.

Im Juli 2000 leitete der Beklagte ein Nachprüfungsverfahren ein. Er zog Befundberichte von den Dres. H und R bei und ließ diese vom Ärztlichen Dienst auswerten. Danach hörte er den Kläger mit Schreiben vom 26.09.2000 bezüglich der beabsichtigten Herabsetzung des GdB von 50 auf 30 wegen Ablauf der Heilungsbewährung an. Mit Bescheid vom 19.10.2000 setzte der Beklagte den GdB von 50 auf 30 unter Berufung auf § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) herab. Bei der Funktionsbeeinträchtigung "Teilverlust des Dickdarms, Verdauungsstörung, Ablauf der Heilungsbewährung" sei die Zeit der Heilungsbewährung abgelaufen, so dass der GdB nur unter Berücksichtigung der beim Kläger tatsächlich vorliegenden Behinderungen bewertet werden könne. Für die Auswirkungen dieser Funktionsbeeinträchtigungen sei ein GdB von 30 angemessen.

Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein. Der Beklagte zog erneut einen Befundbericht von Dr. R bei und hörte den Kläger mit Schreiben vom 11.04.2001 hinsichtlich dieses Befundberichtes an. Am 18.06.2001 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Mit der am 17.07.2001 vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhobenen Klage hat der Kläger die Aufhebung des Herabsetzungsbescheides begehrt.

Das SG hat ein Gutachten von dem Internisten Dr. O eingeholt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Gutachtens vom 10.10.2001 verwiesen.

Mit Urteil vom 14.03.2002 hat das SG Düsseldorf den Bescheid vom 19.10.2000 und den Widerspruchsbescheid vom 18.06.2001 aufgehoben. Es hat ausgeführt, die Voraussetzungen des § 48 SGB X lägen nicht vor. Eine Änderung in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen sei nach Erlass des Bescheides vom 23.03.1999 nicht eingetreten. Die Krebserkrankung sei im März 1999 ausgeheilt gewesen. Ebenfalls sei die Harnblasen-Darm-Fistel verschlossen gewesen. Eine rechtliche Änderung liege nicht vor. Die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AP) 1996, die keine Rechtsnorm seien, stellten wegen des Verstoßes gegen höherrangiges Recht keine Rechtsgrundlage für den Entzug der Schwerbehinderteneigenschaft dar. Den AP 1996 komme auch keine rechtsnormähnliche Wirkung zu. Wegen fehlender demokratischer Legitimation sei der Sachverständigenbeirat zum Erlass und Fortschreibung von Bewertungs-Richtlinien im Schwerbehindertenrecht nicht legitimiert. Die Erstellung und Fortschreibung der AP 1996 durch den Sachverständigenbeirat sei nicht transparent, die AP 1996 beruhten auf keiner wissenschaftlichen Grundlage und enthielten kein in sich...

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