Entscheidungsstichwort (Thema)

Antragstellung zu Leistungen der Grundsicherung per E-Mail - Nachweis der Hilfebedürftigkeit als Voraussetzung einer Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung

 

Orientierungssatz

1. Der Antrag auf Leistungen der Grundsicherung nach § 37 SGB 2 hat materiell-rechtliche Bedeutung. Er hat konstitutive Wirkung.

2. Der Empfänger einer elektronischen Willenserklärung hat vor Widerlegung der indizierenden Wirkung des Sendeberichts des Antragstellers nachvollziehbar darzulegen, warum eine Speicherung der an ihn abgesandten Willenserklärung in seiner Empfangseinrichtung nicht erfolgt ist bzw. aus welchen Gründen er dies nicht darlegen kann (LSG Essen, Urteil vom 14.9.2017, L 19 AS 360/17).

3. Zur Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung hat der Antragsteller seine Hilfebedürftigkeit i. S. von § 9 SGB 2 nachzuweisen. Die Bestreitung der Lebenshaltungskosten ist u. a. durch die Vorlage von Kontoauszügen nachzuweisen. Bleiben danach erhebliche Zweifel und ist der Antragsteller nicht in der Lage, diese auszuräumen, so ist die Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung zu versagen.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 22.03.2022; Aktenzeichen B 7/14 AS 393/21 B)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 08.11.2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitgegenständlich ist ein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für den Zeitraum vom 01.08.2016 bis 31.10.2016.

Die 1986 geborene Klägerin schloss Mitte des Jahres 2016 ein Lehramtsstudium ab. Im November 2016 nahm sie ihr Referendariat auf. Seit August 2019 ist sie in Berlin als Lehrerin beschäftigt.

Am 31.08.2016 um 21:14 Uhr versandte die Klägerin eine E-Mail an den Beklagten. In der E-Mail, deren Betreff "Antrag auf Arbeitslosengeld II" lautete, bat die Klägerin um einen Termin zur Erstberatung. Sie erhielt hierzu keine Unzustellbarkeitsbenachrichtigung. Im über die Klägerin geführten Verwaltungsvorgang des Beklagten findet sich an entsprechender Stelle kein Hinweis auf die E-Mail.

Die Klägerin wandte sich mit Schreiben vom 26.10.2016 an den Beklagten, fügte einen Ausdruck ihrer E-Mail aus dem August 2016 bei und erinnerte an den aus ihrer Sicht damit verbundenen Antrag. Das Schreiben ging beim Beklagten ausweislich eines Eingangsstempels am 03.11.2016 ein.

Nachdem die Klägerin Mitte November 2016 erneut erinnert hatte, lehnte der Beklagte eine Leistungsgewährung für den streitigen Zeitraum ab (Bescheid vom 05.12.2016; Widerspruchsbescheid vom 06.07.2018). Die Klägerin habe einen verspäteten Antrag gestellt. Eine Leistungsgewährung für Zeiträume vor Antragstellung sei ausgeschlossen.

Mit ihrer am 17.07.2018 beim Sozialgericht Köln (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin behauptet, ihr Schreiben vom 26.10.2016 am 27.10.2016 in den Briefkasten des Beklagten eingeworfen zu haben. Sie hat die Auffassung vertreten, mit der E-Mail vom 31.08.2016 rechtzeitig Leistungen beantragt zu haben. In Bezug auf den Zugang greife ein Anscheinsbeweis, da sie keine Fehlermeldung über die Unzustellbarkeit der E-Mail erhalten habe. Jedenfalls habe der Beklagte die Verzögerung zu vertreten. Diesem stünde es frei, Eingangsbestätigungen abzugeben.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 05.12.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.07.2018 zu verurteilen, an sie Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende für den Zeitraum vom 01.08.2016 bis 31.10.2016 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu erbringen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ein Antrag der Klägerin sei erst am 03.11.2016 gestellt worden.

Das SG hat eine Auskunft des für den IT-Betrieb zuständigen regionalen Infrastrukturmanagements Köln der Bundesagentur für Arbeit (BA) eingeholt, das mitgeteilt hat, nach Auskunft der Fachgruppe Maildienste im IT- Systemhaus der BA würden Log-Dateien über eingehende E-Mails für 60 Tage vorgehalten.

Mit Urteil vom 08.11.2018 hat das SG die Klage abgewiesen. SGB II-Leistungen könnten nicht für Monate vor Antragstellung gewährt werden. Eine Antragstellung vor November 2016 lasse sich nicht belegen. Es sei nicht feststellbar, dass die E-Mail vom 31.08.2016 abrufbereit in das vom Beklagten unterhaltene E-Mail-Postfach gelangt und so dem Beklagten zugegangen sei. Das bloße Absenden einer E-Mail ohne Erhalt einer Zustellbenachrichtigung begründe - auch wenn den Absender keine Fehlerbenachrichtigung erreiche - keinen Anscheinsbeweis dafür, dass die E-Mail auf dem E-Mail-Server des Empfängers eingegangen sei. Die Klägerin trage die objektive Beweislast, eine Beweislastumkehr komme nicht in Betracht, gleichwohl der Beklagte es unterlassen habe, unmittelbar nach dem Bekanntwerden der E-Mail vom 31.08.2016 Anfang November 2016 einen früheren Zeitpunkt des Eingangs der E-Mail aufzu...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge