Entscheidungsstichwort (Thema)
Private Pflegeversicherung. Anfechtung der abgegebenen Leistungszusagen bei Irrtum über Pflegeaufwand. Verbindlichkeit der Begutachtungs-Richtlinien. Feststellung des Zeitaufwandes für den Hilfebedarf bei der Grundpflege
Leitsatz (amtlich)
Hat ein Unternehmen der privaten Pflegepflichtversicherung Leistungen nach dem SGB 11 (hier: Pflegestufe I) von vornherein zu Unrecht erbracht, kann es sich von seiner ursprünglichen Leistungszusage unter den Voraussetzungen der §§ 119ff BGB lösen. Für eine (analoge) Anwendung des § 45 SGB 10 besteht kein Raum.
Orientierungssatz
1. Die Begutachtungs-Richtlinien sind zur Gewährleistung einer einheitlichen und dem Gleichheitsgrundsatz in Art 3 GG entsprechenden Beurteilungspraxis zu beachten. Sie enthalten allerdings keine verbindlichen Vorgaben, sondern liefern nur Anhaltsgrößen iS eines Orientierungsrahmens.
2. Der Zeitaufwand für den Hilfebedarf bei der Grundpflege ist entsprechend der individuellen Situation des Einzelfalles festzustellen, wobei der Einsatz von pflegeerleichternden Hilfsmitteln und Maßnahmen, wenn sie dem Pflegebedürftigen zumutbar sind, zu berücksichtigen sind.
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Weitergewährung von Leistungen nach Pflegestufe I aus der Privaten Pflegeversicherung.
Bei dem ... 1939 geborenen Kläger sind mit Bescheid des Versorgungsamtes D vom 21.09.1990 mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 80 die Funktionsstörungen "angeborene Lähmung des linken Armes und der linken Hand, Schwäche des linken Fußes, Verschleißleiden der Kniegelenke, Zustand nach Leistenbruchoperation" und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "G" (erhebliche Gehbehinderung) festgestellt worden.
Am 22.03.1995 beantragte der Kläger bei der Beklagten Pflegeleistungen aus der privaten Pflegeversicherung. Mit Schreiben vom 18.08.1995 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, nach dem vom Medizinischen Dienst der privaten Pflegeversicherung M. GmbH K von Dr. K eingeholten Gutachten vom 11.08.1995 bestehe Hilfebedarf lediglich beim täglichen Waschen und wöchentlichen Baden; deshalb sei Pflegebedürftigkeit zu verneinen. Auf seinen mit der Begründung erhobenen Widerspruch, er bedürfe bei fast allen Verrichtungen des täglichen Lebens der Hilfe seiner Ehefrau, holte die Beklagte eine Stellungnahme von Dr. K ein, der bei seiner Beurteilung blieb, und veranlaßte eine weitere Begutachtung des Klägers in seiner häuslichen Umgebung am 13.11.1995 durch die Internistin Dr. H, die einen täglichen Zeitaufwand von 1,5 bis 2 Stunden für fremde Hilfe bei der Grundpflege und einen solchen von täglich 1,5 Stunden bei der hauswirtschaftlichen Versorgung für erforderlich hielt. Angaben über den notwendigen Zeitaufwand für fremde Hilfe bei den einzelnen Verrichtungen sind in dem Gutachten nicht enthalten. Darauf gestützt stellte die Beklagte mit Schreiben vom 28.12.1995 die Pflegestufe I fest. Für die pflegende Ehefrau wurden Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet.
Die im November 1997 von der Beklagten mit einer Wiederholungsbegutachtung beauftragte Ärztin Dr. V nahm aufgrund der Untersuchung des Klägers in seiner häuslichen Umgebung am 16.12.1997 Hilfebedarf bei der Grundpflege und bei der hauswirtschaftlichen Versorgung in einem zeitlichen Umfang von mindestens 1,5 Stunden an und bejahte die Pflegestufe I, ohne den Hilfebedarf für die einzelnen Verrichtungen anzugeben. Der Pflegeaufwand der Pflegeperson liege unter 14 Stunden. Mit Schreiben vom 30.12.1997 teilte die Beklagte dem Kläger mit, nach Auswertung des Ergebnisses der Begutachtung könne sie die Pflegestufe I seit dem 01.04.1995 zusagen. Damit bleibe die bisherige Pflegestufe und ihre bisherige Leistungszusage weiterhin gültig. In dem in dem Schreiben enthaltenen Hinweis heißt es: "Gegen diese Feststellung (hier: Einstufung) können Sie innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe schriftlich Einwendungen geltend machen .... Wenn keine Einwendungen geltend gemacht werden, gilt nach Ablauf der Monatsfrist dieses Schreiben als endgültige Zusage ...".
Mit Schreiben vom 17.03.1997 wandte sich der Kläger dagegen, daß die Beklagte für seine Ehefrau als Pflegeperson keine Beiträge mehr zur Rentenversicherung entrichtete. Er legte gegen die "Abmeldung bei der BfA" Widerspruch ein und bat, diese Entscheidung zu korrigieren. Daraufhin beauftragte die Beklagte die M. GmbH mit der Erstattung eines weiteren Gutachtens. Der Arzt Dr. H, der den Kläger am 22.02.1998 in seiner häuslichen Umgebung untersuchte, nahm bei der Körperpflege einen Hilfebedarf von 15 Minuten (tägliches Waschen der rechten Körperhälfte sowie beim einmal täglichen Duschen), bei der Ernährung für das zweimal tägliche mundgerechte Zubereiten einen solchen von 6 Minuten und im Bereich der Mobilität beim An- und Auskleiden einen Hilfebedarf von 5 Minuten an. Für die Hauswirtschaft sei ein Hilfebedarf von 45 Minuten anz...