Entscheidungsstichwort (Thema)
Anerkennung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule als Berufskrankheit nach Nr. 2108 BKV
Orientierungssatz
1. Eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule setzt zu ihrer Anerkennung als Berufskrankheit nach Nr. 2108 BKV den bildgebenden Nachweis eines altersuntypischen Bandscheibenschadens i. S. einer Höhenminderung - Chondrose und/oder einem Bandscheibenvorfall - einerseits und einer korrelierenden Symptomatik andererseits voraus. Zur Kausalitätsbeurteilung sind die sog. Konsensempfehlungen heranzuziehen.
2. Bei lediglich einem monosegmentalen Bandscheibenschaden und dem Fehlen altersuntypischer Veränderungen ist die Anerkennung des Wirbelsäulenleidens als bandscheibenbedingte Erkrankung i. S. der Berufskrankheit nach Nr. 2108 BKV ausgeschlossen.
3. Für das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Anerkennung dieser Berufskrankheit gilt als Richtwert nach dem Mainz-Dortmunder-Dosis-Modell bei Männern für die Lebensdosis ein solcher von 25 MNh .
4. Liegt eine Konstellation vor, für die unter den Autoren der Konsensempfehlungen keine Übereinstimmung erzielt werden konnte, so bedarf es einer individuellen Beurteilung und Würdigung des Einzelfalls (BSG Urteil vom 23. 4. 2015, B 2 U 6/13 R).
Normenkette
BKV Anl. 1 Nr. 2108; SGB VII § 9 Abs. 1; SGG § 54 Abs. 2 S. 1
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 18.04.2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung und Entschädigung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 der Berufskrankheitenverordnung (Bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können) im Folgenden: BK 2108.
Der im September 1943 geborene Kläger war von 1966 bis Ende 2003 bei der Firma T Lebensmittel GmbH als LKW Fahrer und Lagerarbeiter und trug Obstkisten, Zwiebel- und Kartoffelsäcke mit einem Gewicht zwischen 7 und 25 Kg. Ab dem 01.07.1988 wurde er als Schichtführer in der Wareneingangskontrolle eingesetzt.
Ausweislich der Ermittlungen des Präventionsdienstes der Beklagten auf der Grundlage einer Befragung des Klägers am 12.01.2005 im Betrieb war er dabei im Zeitraum vom 01.01.1966 bis 30.06.1988 einer Belastungsdosis von 33,5 MNh und ab 01.07.1988 bis 20.06.2003 im Rahmen der Tätigkeit als Schichtführer einer Belastungsdosis von 5,8 MNh bei Berücksichtigung der Fehlzeiten wegen Arbeitsunfähigkeit unter Anwendung des modifizierten Mainz-Dortmunder-Dosismodells (MDD) insgesamt einer Gesamtbelastungsdosis von 39,3 MNh ausgesetzt gewesen.
Nach einer BK Anzeige der Krankenkasse leitete die Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden: Beklagte) ein Feststellungsverfahren zur BK 2108 ein und zog bildgebende Befunde betreffend die LWS und HWS bei.
Mit Bescheid vom 27.04.2004 lehnte die der Beklagten die Anerkennung einer BK 2108 mit der Begründung ab, beim Kläger seien Verschleißerscheinungen auch in anderen Bereichen der Wirbelsäule und an der HWS zu finden, was für eine anlagenbedingte Erkrankung spreche.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und machte geltend, er habe infolge der schweren Arbeit bereits 1975 wegen Rückenbeschwerden eine Kurmaßnahme absolviert. Die Beratungsärztin Dr. I kam nach Sichtung der Unterlagen zu dem Ergebnis, beim Kläger sei im Bereich der LWS eine mehrsegmentale Protusion offenkundig, die HWS sei lediglich im Bereich C6/C7 verändert. Der von der Beklagten beauftragte Gutachter Prof. Dr. X führte in seinem Gutachten vom 20.08.2005 (mit radiologischen Zusatzgutachten Prof. Dr. I1 vom 22.07.2005) aus, die beim Kläger festzustellenden Bandscheibenprotusionen im Bereich der LWS seien auf die langjährige, nicht mehr zumutbare Beanspruchung bei der beruflichen Tätigkeit zurückzuführen, die MdE schätze er auf 20. v. H.
Die Beklagte folgte dieser Einschätzung nicht und wies mit Widerspruchsbescheid vom 28.06.2006 den Rechtsbehelf zurück. In der Begründung heißt es, es sei davon auszugehen, dass die Erkrankung bereits 1975 und damit schon nach wenigen Jahren der beruflichen Belastung eingetreten sei; auch sei die Erkrankung fortgeschritten, obwohl der Kläger ab 1988 deutlich geringeren Belastungen ausgesetzt gewesen sei. Der Verlauf spreche daher gegen einen Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit.
Hiergegen hat der Kläger am 11.07.2006 Klage vor dem Sozialgericht Münster erhoben und sein Begehren weiter verfolgt.
Das Sozialgericht (SG) hat von Amts wegen ein Gutachten bei dem Orthopäden Dr. T eingeholt. Der Sachverständige ist in seinem Gutachten vom 04.09.2009 und ei...