Entscheidungsstichwort (Thema)
Auf Aufforderung der Krankenkasse gestellten Rehabilitationsantrag. Wirksame Rücknahme. Zustimmung der Krankenkasse. Pflichtgemäßes Ermessen. Berechtigtes Interesse des Versicherten
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Versicherte kann den auf Aufforderung der Krankenkasse gestellten Rehabilitationsantrag wirksam nur mit ihrer Zustimmung zurücknehmen.
2. Bei der Entscheidung über einen Antrag des Versicherten auf Erteilung dieser Zustimmung ist die Krankenkasse nicht völlig frei, sondern hat ihre Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen.
3. Das Interesse der Krankenkasse an dem Übergang der Leistungszuständigkeit an den Rentenversicherungsträger hat grundsätzlich Vorrang.
4. Das allgemeine Interesse des Versicherten, möglichst lange das zumeist höhere Krankengeld zu beziehen oder evtl. zugleich Vorteile für eine spätere Rente zu erlangen, ist gegen das Solidarinteresse abzuwägen, das grundsätzlich Vorrang hat.
5. Kann der Versicherte ein berechtigtes Interesse am Hinausschieben des Rentenbeginns geltend machen, das die Belange der Krankenkasse überwiegt, muss die Krankenkasse ihre Zustimmung erteilen.
Normenkette
SGG § 54 Abs. 2 S. 2, § 75 Abs. 5, § 99 Abs. 1, §§ 123, 202; ZPO § 251; SGB V § 51; SGB VI § 116 Abs. 2
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 16.01.2019 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Zustimmung der Beklagten zu der Rücknahme eines in einen Rentenantrag umgedeuteten Rehabilitationsantrags (§ 116 Abs. 2 SGB VI).
Der am 00.00.1956 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Er erkrankte am 26.11.2014 arbeitsunfähig. Zunächst bezog er bis zum 16.01.2015 Entgeltfortzahlung. Vom 17.01.2015 bis zum 18.11.2015 gewährte die Beklagte ihm Krankengeld, wobei er vom 23.06.2015 bis zum 24.08.2015 Übergangsgeld bezog. In jenem Zeitraum bewilligte ihm die Beigeladene aufgrund eines nach entsprechender Aufforderung durch die Beklagte am 22.05.2015 gestellten Antrags eine ambulante Rehabilitationsmaßnahme (Bescheid vom 02.06.2015). Vom 19.11.2015 bis zum 08.12.2017 bezog der Kläger Leistungen der Bundesagentur für Arbeit.
Am 20.09.2017 beantragte der Kläger bei der Beigeladenen die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beigeladene deutete den Rehabilitationsantrag vom 22.05.2015 sodann in einen Rentenantrag um (§ 116 SGB VI) und bewilligte dem Kläger ab 01.06.2015 zunächst befristet bis zum 31.05.2018 (Bescheid vom 02.01.2018) und schließlich auf Dauer bis zum Beginn der Regelaltersrente am 28.02.2022 (Bescheid vom 25.06.2018) Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Zugrundelegung eines Leistungsfalls am 26.11.2014. Einen gegen den Bescheid der Beigeladenen vom 02.01.2018 erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 14.05.2019 als unbegründet zurück; hiergegen hat der Kläger am 17.05.2019 Klage vor dem Sozialgericht Köln erhoben (vgl. zum Vorstehenden das Urteil des SG Köln vom 25.01.2022 - S 26 R 692/19).
Am 22.01.2018 beantragte der Kläger bei der Beklagten, ihre Zustimmung dazu zu erteilen, dass "der Reha-Antrag vom 22.05.2015 nicht als Rentenantrag" gelte. Das Hinausschieben des Rentenbeginns bewirke eine erhebliche Verbesserung des Rentenanspruchs. Dies stelle ein berechtigtes Interesse an der Zustimmung dar. Durch Bescheid vom 15.02.2018 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, dass auch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG vom 07.12.2004 - B 1 KR 6/03 R) der Umstand, dass der Kläger eine Verbesserung seines Rentenanspruchs erreichen wolle, kein berechtigtes Interesse im Hinblick auf die Erteilung der Zustimmung zur Rücknahme des Reha-Antrags darstelle.
Am 19.02.2018 erhob der Kläger hiergegen Widerspruch. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, er begehre, dass die Rente als Regelaltersrente erst am 01.03.2022 beginne. In diesem Fall, so habe eine Berechnung der Beigeladenen ergeben, betrage die monatliche Altersrente 768,99 Euro im Vergleich zu der Regelaltersrente mit vorheriger Erwerbsminderungsrente in Höhe von 692,94 Euro; mithin ergebe sich ein monatlicher Mehrbetrag in Höhe von 76,05 Euro. Es müsse berücksichtigt werden, dass er aufgrund der Arbeitsunfähigkeit ein Krankengeld lediglich im Zeitraum von ca. 7 ½ Monaten bezogen habe. Jedenfalls habe die Beklagte sein bezeichnetes Interesse vollkommen übergangen und das ihr obliegende Ermessen nicht hinreichend ausgeübt. Mit Widerspruchsbescheid vom 27.08.2018 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen für eine Aufforderung zur Rehabilitation (§ 51 Abs. 1 Satz 1 SGB V) seien gegeben gewesen, denn der MDK habe am 12.05.2015 festgestellt, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers erheblich gefährdet sei. Die darauf durchgeführte Rehabilitationsmaßnahme sei nicht erfol...