Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziales Entschädigungsrecht. Gewaltopfer. Schädigung in der Kindheit. Misshandlung im Kinderheim. Freiheitsberaubung kein tätlicher Angriff. Beweiserleichterung. Glaubhaftmachung. Gewalterfahrungen anderer Heimkinder. Glaubhaftigkeit eigener Gewalterfahrungen. psychische Beeinträchtigung. ursächlicher Zusammenhang. Heimerfahrung und Fehlen elterlicher Bindungen als überragende Ursachen. solche sozialgerichtliches Verfahren. Grenzen der Amtsermittlung. keine Sachverhaltsausforschung

 

Orientierungssatz

1. Einzelne tätliche Angriffe während des Heimaufenthalts in der Kindheit sind nicht iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG iVm § 1 Abs 3 S 1 BVG ursächlich für eine psychische Beeinträchtigung, wenn von größerem Gewicht für die Entwicklung des Heimkindes die früh einsetzende und langjährige Heimerfahrung in ihrer Gesamtheit (insbesondere das Fehlen elterlicher Bezugspersonen) gewesen ist.

2. Der Umstand, dass sich bezogen auf andere ehemalige Heimkinder tatsächlich Belege für geschilderte Gewalttätigkeiten finden lassen, macht Angaben zu eigenen Gewalterfahrungen noch nicht ohne Weiteres glaubhaft, wenn aufgrund einer intensiven Beschäftigung mit dem Thema und dem intensiven Austausch mit anderen die Gefahr besteht, dass Erlebnisse Dritter als eigene angesehen werden.

3. Bloßes Einsperren unterfällt nicht dem Begriff der körperlichen Gewalt, wie ihn das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 16.12.2014 - B 9 V 1/13 R = BSGE 118, 63 = SozR 4-3800 § 1 Nr 21 definiert hat (vgl aber zur früheren differenzierenden Rechtsprechung in Fällen von Freiheitsberaubung BSG vom 30.11.2006 - B 9a VG 4/05 R = SozR 4-3800 § 1 Nr 10 und vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R).

4. Ausufernde Angaben des Klägers, die kaum belastbar sind, beschränken die Sachaufklärungspflicht des Gerichts.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 04.11.2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um Rentenleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der Kläger wurde 1956 als uneheliches Kind geboren. Er wuchs unter Vormundschaft des Kreisjugendamtes im Kinderheim St. K in E auf, das ab 1961 als Kinderdorf St. K weitergeführt wurde. Die Einrichtungen befanden sich in kirchlicher Trägerschaft und wurden von Nonnen geführt. Wegen erzieherischer Schwierigkeiten wurde der Kläger am 23.04.1970 in das I-Haus in V verlegt. Ab dem 21.06.1971 lebte er im Rheinischen Landesjugendheim B-hof in I, wo er eine Ausbildung zum Maler und Lackierer absolvierte und 1975 abschloss. Von 1976 bis 1984 war als Wehrdienstleistender und Zeitsoldat bei der Bundeswehr tätig, wo er eine Ausbildung zum Informationselektroniker absolvierte. Es folgten mehrere Arbeitsverhältnisse, Weiterbildungen und Zeiten der Arbeitslosigkeit. Seit 2002 ist der Kläger dauerhaft arbeitslos. Zur Mutter besteht kein Kontakt, der leibliche Vater ist 2005 verstorben. Ein Bruder, der ebenfalls und zum Teil gemeinsam mit dem Kläger in Heimen aufwuchs, erhängte sich 1995. Der Kläger hat noch mehrere Halbgeschwister. Er ist in zweiter Ehe verheiratet und hat aus beiden Ehen je ein Kind. 2008 erfolgte eine stationäre Rehabilitationsbehandlung in der H-Klinik, wo insbesondere eine sonstige spezifische Persönlichkeitsstörung diagnostiziert wurde. Ansonsten befand sich der Kläger bislang nicht in psychiatrischer bzw. psychotherapeutischer Behandlung.

Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund gewährte dem Kläger aufgrund eines Anerkenntnisses in einem sozialgerichtlichen Verfahren (S 15 R 204/08) mit Bescheid vom 07.12.2009 ab Mai 2007 dauerhaft Rentenleistungen wegen voller Erwerbsminderung. Dem lag insbesondere ein Sachverständigengutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie, Facharzt für Neurologie, Spezielle Psychotraumatologie, T aus 2009 zugrunde, der eine chronifizierte Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), eine ausgeprägte mittelgradige bis beginnend schwere depressive Episode, eine autonome somatoforme Funktionsstörung des oberen Gastrointestinaltraktes und eine nicht näher bezeichnete Persönlichkeitsstörung diagnostizierte, die mit hoher Wahrscheinlichkeit durch vom Kläger geschilderte Misshandlungen verursacht worden seien. In einem nachfolgenden sozialgerichtlichen Klageverfahren gegen die DRV Bund (S 7 R 968/14) diagnostizierte die Sachverständige C1, Fachärztin für Neurologie, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie 2015 eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit querulatorischen und narzisstischen Persönlichkeitsakzenten, eine neurotische Depression und eine somatoforme autonome Funktionsstörung des oberen und unteren Gastrointestinaltraktes. Eine PTBS liege nicht vor. Klassische PTBS-Symptome wie flash-backs oder Intrusionen seien auf Nachfrage verneint worden. Es bestehe Einverständnis mit Herrn T, dass die Heimsozialisation des Klägers zur psych...

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