Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Hilfsmittel. Erforderlichkeit eines Elektrorollstuhls bzw eines gleich geeigneten Zuggerätes für Rollstuhl ≪sogenanntes Rollstuhlbike≫
Orientierungssatz
Erforderlich iS des § 33 Abs 1 S 1 SGB 5 ist ein Elektrorollstuhl bzw ein gleich geeignetes Zuggerät für einen Rollstuhl (sogenanntes Rollstuhlbike) erst dann, wenn ein behinderter Mensch mittels eines Aktivrollstuhls eine Strecke von (geringfügig) mehr als 500 Meter nicht in zumutbarer Zeit zurücklegen kann.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 10.09.2008 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin einen Anspruch auf Versorgung mit einem sog. Rollstuhlbike (syn.: Speedy-Bike, Hand-Bike) hat. Bei diesem Gerät handelt es sich um ein an einen Rollstuhl ankuppelbares Zuggerät, das mit einer in Brusthöhe des Rollstuhlfahrers angebrachten Handkurbel ausgestattet ist und die Kraft mittels einer Kette auf das dazugehörige Vorderrad überträgt.
Die 1987 geborene und bei der Beklagten bis 30.06.2010 krankenversicherte Klägerin leidet an einer Spina bifida in Höhe L5 mit einer darauf zurückzuführenden Paraparese der Beine mit Geh- und Stehunfähigkeit. Sie ist u.a. mit einem Aktivrollstuhl versorgt.
Im Januar 2006 beantragte die Klägerin die Versorgung mit einem Speedy-Bike unter Überreichung einer befürwortenden Bescheinigung des Orthopäden Dr. C und eines Angebotes des Sanitätshauses E über Gesamtkosten in Höhe von 3.323,83 Euro. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 01.02.2006 ab. Auf den Widerspruch der Klägerin veranlasste sie eine sozialmedizinische Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK), die am 24.03.2006 nach Aktenlage erfolgte und keine Empfehlung zur Kostenübernahme erbrachte, weil die Mobilität der Klägerin mit einem handbetriebenen Aktivrollstuhl ausreichend gewährleistet sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 11.07.2006 wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch zurück. Die Klägerin sei für den Nahbereich ausreichend versorgt. Das Zurücklegen längerer Wegstrecken gehöre bei Erwachsenen nicht zu den elementaren Grundbedürfnissen, für deren Sicherstellung die gesetzliche Krankenversicherung einzustehen habe.
Mit der am 08.08.2006 erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, sie benötige das Speedy-Bike, um Wegstrecken, die ein Gesunder ansonsten zu Fuß zurücklege (insbesondere zu den in Wohnungsnähe gelegenen Geschäften und für Behördengänge, Arztbesuche etc.), bewältigen zu können. Das beantragte Hilfsmittel diene daher lediglich zur Befriedigung des Grundbedürfnisses auf Mobilität. Gegenüber einem Greifradrollstuhl werde der für die Fortbewegung erforderliche Kraftaufwand um 80 % reduziert. Sie könne das Speedy-Bike selbständig benutzen und benötige auch für die Ankopplung an den Rollstuhl keine fremde Hilfe.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens von Dr. T. In dem Gutachten vom 14.06.2007 wird ausgeführt, bei der Klägerin sei keine verwertbare Funktion der unteren Extremitäten vorhanden. Im Bereich der oberen Extremitäten bestünden Beschwerden in den Schultergelenken und Armen, die auf eine Überlastung der oberen Extremität bei Benutzung des vorhandenen Rollstuhls zurückzuführen seien. Aus orthopädischer Sicht sei deshalb die Versorgung der Klägerin mit dem Speedy-Bike zu befürworten, weil hierdurch einer Überlastung der oberen Extremität weitgehend vorgebeugt werde. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten Bezug genommen.
Die Beklagte hat gegen das Gutachten eingewandt, es enthalte keine tragfähige medizinische Begründung für die Erforderlichkeit des Hilfsmittels. Der vorhandene Rollstuhl sei ausreichend, um damit die auch von einem Gesunden üblicherweise zu Fuß zurückgelegten Wegstrecken im Nahbereich zu bewältigen. Der mit einem Rollstuhl-Bike erschließbare weitere räumliche Bereich unterfalle nicht dem elementaren Grundbedürfnis auf Mobilität. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 27.08.2007 hat der Sachverständige an seiner Beurteilung festgehalten, wobei er darauf hingewiesen hat, es sei eine rechtliche Bewertung, ob der weitere Bereich den Grundbedürfnissen zuzurechnen sei.
Mit Urteil vom 10.09.2008 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, die Klägerin mit einem Speedy-Bike gemäß dem von ihr vorgelegten Kostenvoranschlag zu versorgen. Die Klägerin habe gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) Anspruch auf das beantragte Hilfsmittel, weil es zum Ausgleich einer behinderungsbedingten Bewegungseinschränkung erforderlich sei. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. T benötige die Klägerin das Hand-Bike aus medizinischen Gründen, weil es bei der Verwendung des Greifreifenrollstuhls zu einer Überlastung der ober...