Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten. Begriff. Nichtbestehen einer Leistungs- und Vergütungsvereinbarung für die erforderlichen Leistungen. keine Kostenübernahme nach § 75 Abs 4 SGB 12. Erforderlichkeit der Leistungen. Abgrenzung zur rechtlichen Betreuung

 

Orientierungssatz

1. Zum Begriff der "Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten" iS des § 55 Abs 2 Nr 6 SGB 9.

2. Betrifft die zwischen dem Sozialhilfeträger und dem Leistungserbringer bestehende Leistungs- und Vergütungsvereinbarung allein "ambulante Eingliederungshilfe zum selbständigen Wohnen (Ambulant Betreutes Wohnen)", wofür der Leistungserbringer "ein breites Spektrum an Hilfestellungen im Bereich Wohnen" anbietet, sind Hilfeleistungen, die sich nicht auf das betreute Wohnen beziehen, ersichtlich von der Vereinbarung nicht erfasst, so dass der Sozialhilfeträger auch nicht nach § 75 Abs 3 S 1 SGB 12 zur Vergütung solcher Leistungen verpflichtet ist.

3. Beschränkt die Leistungs- und Vergütungsvereinbarung die vergütungsfähigen Leistungen explizit auf solche des betreuten Wohnens, kann diese einvernehmliche Beschränkung nicht durch eine Anwendung von § 75 Abs 4 S 1 SGB 12 umgangen werden. Bei einer solchen Überschreitung der vereinbarten Leistungsgrenzen ist ein Sozialhilfeanspruch im Rahmen eines sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses ausgeschlossen.

4. Zur Abgrenzung von rechtlicher Betreuung nach den §§ 1896 ff BGB und Leistungen des betreuten Wohnens im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem SGB 12.

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 16.01.2013 geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten, ob der Klägerin gegenüber dem Beklagten für die Zeit vom 14.09.2010 bis zum 30.09.2011 Leistungen der Eingliederungshilfe insbesondere in Form des sog. ambulant betreuten Wohnens (BeWo) zustehen.

Die am 00.00.1968 geborene Klägerin ist ungarische Staatsangehörige und Mutter mehrerer Kinder. Zwei Söhne, der am 00.00.1986 geborene Q und der am 00.00.1991 geborene H, leben ebenfalls in der Bundesrepublik.

Nach Übersiedlung in die Bundesrepublik war die Klägerin seit dem 30.05.2005 in L gemeldet. Dort lebte bereits ihre Schwester, zu der sie durchgehend Kontakt hat. 2006 heiratete sie den 1940 geborenen und im Mai 2012 verstorbenen deutschen Staatsangehörigen I S. Das Ausländeramt der Stadt L bescheinigte am 15.10.2010 nach § 5 FreizügG/EU ein Aufenthaltsrecht der Klägerin gemäß § 2 Abs. 1 FreizügG/EU.

Der Ehemann der Klägerin litt unter einer Alkoholkrankheit. Der Sohn H ist lernbehindert. Dies äußert sich u.a. in einem Mangel an Kenntnissen sowohl der deutschen als auch der ungarischen Sprache. Schon in Ungarn hatte er eine Sonderschule besucht. Im Oktober 2010 war er noch Schüler der 10. Klasse. In Deutschland wurde er wiederholt straffällig. Nach dem hier streitigen Zeitraum wurde für ihn eine gesetzliche Betreuung eingerichtet. Auch der Sohn Q, der im streitigen Zeitraum zeitweise erwerbstätig war, hatte psychische Probleme (u.a. psychotische Symptome).

Bei der Klägerin bestand im streitigen Zeitraum eine depressive Episode im Rahmen einer schizoaffektiven Störung. Dabei konsumierte sie häufiger Cannabis und Kokain. Am 13.01.2009 unternahm sie einen Suizidversuch. Wegen ihrer bereits in Ungarn in Erscheinung getretenen, dort aber unbehandelt gebliebenen psychischen Einschränkungen befand sie sich wiederholt (31.10. bis 18.12.2008, 07. bis 12.01.2009, 14.01. bis 06.03.2009, 17.11. bis 01.12.2011, 17.09. bis 18.10.2012 sowie 15.05. bis 16.06.2013) in stationärer Behandlung in einer Klinik des Beklagten in L (im Folgenden LVR-Klinik). Eine dort (in der Tagesklinik N) vom 06. bis 08.07.2011 aufgenommene teilstationäre Behandlung brach die Klägerin ab. Daneben befand sie sich seit dem 15.03.2009 in nervenärztlicher Behandlung (Neurologin E, L). Inzwischen wird die Klägerin fortlaufend ambulant in der LVR-Klinik (L) behandelt.

Im Januar 2013 wurde auf Anregung der LVR-Klinik eine gesetzliche Betreuung für die Klägerin eingerichtet, die bis heute fortbesteht und den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung, alle Vermögensangelegenheiten, Vertretung bei Behörden sowie Befugnis zum Empfang von Post umfasst. Der im Betreuungsverfahren (AG L 56 XVII R 000) gehörte Psychiater und Psychotherapeut Dr. M gelangte in seinem Gutachten vom 29.11.2012 zu der Einschätzung, die Klägerin sei geschäftsfähig. Für den Bereich der Vermögenssorge wurde in der Folgezeit gleichwohl zusätzlich ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet.

Die Klägerin erwarb in Ungarn einen Hauptschulabschluss; anschließend war sie dort zeitweise als Hilfsarbeiterin tätig. In Deutschland arbeitete sie vorübergehend in einer Schankwirtschaft. Im streitigen Zeitraum war sie nicht erwer...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge