Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertrags(zahn)-ärztlichen Versorgung

 

Orientierungssatz

1. Bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung durch die Kassenärztliche Vereinigung wird seit dem 1. 1. 2004 vorrangig nach der Zufälligkeits- und Richtgrößenprüfung neben dem Prüfverfahren nach Durchschnittswerten verfahren. Dabei werden die Abrechnungswerte des jeweiligen Vertrags(zahn)-Arztes mit denjenigen der Fachgruppe verglichen. Zeigt sich hierbei ein offensichtliches Missverhältnis, so hat dies die Wirkung eines Anscheinsbeweises der Unwirtschaftlichkeit.

2. Der Anscheinsbeweis der Unwirtschaftlichkeit ist vom Arzt durch konkrete Tatsachen substantiiert zu widerlegen. Einen Erfahrungssatz, dass Patienten in der Stadt gesünder sind und weniger zahnärztlicher Behandlung bedürfen als die auf dem Land, gibt es nicht.

3. Die Prüfung der Wirtschaftlichkeit ist einer Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten nicht zugänglich.

 

Normenkette

SGB V § 106 Abs. 2 S. 1 Nrn. 1-2

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 25.09.2006 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig sind Honorarkürzungen für die Quartale 1/1999 bis 4/2001 in Höhe von (i.H.v.) 20.371,08 EUR.

Der Kläger ist seit Oktober 1996 in M zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen. In der Zeit vom 01.01.1999 bis 14.03.2000 war in seiner Praxis die Zahnärztin H als Ausbildungsassistentin tätig; anschließend bestand zwischen dem Kläger und dieser Zahnärztin bis zum 31.01.2001 eine Gemeinschaftspraxis.

Ab Juni 2000 (Anträge vom 20.06.2000, 18.07.2000, 10.08.2000, 30.08.2000, 19.02.2001, 23.04.2001, 25.04.2001, 25.03.2001, 27.04.2001, 30.11.2001, 30.01.2002, 08.05.2002) beantragten die beigeladenen Krankenkassen - Beigeladenen zu 2) bis 7) - die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Abrechnungen des Klägers für die Quartale 3/1998 bis 4/2001 wegen Überschreitungen bei den Fallkostenwerten und bei verschiedenen Gebührennummern (Nr. bzw. Nrn).

Demgegenüber machte der Kläger geltend, dass seine Praxis in einem ländlich strukturierten Gebiet mit einer geringen Zahnarztdichte liege; daraus resultiere eine langjährige zahnärztliche Unterversorgung. Unterversorgung und Praxisschließungen am Ort seien als Praxisbesonderheiten zu werten. Zudem habe er 1998 479, 1999 440 und 2000 432 (bzw. 436) Neupatienten behandelt; erst 2001 sei die Zahl der Neupatienten auf 288 zurückgegangen. Wegen der hohen Zahl der Neupatienten seien die Grundsätze zu einer Praxisneugründung anzuwenden. Zudem seien unter den Neupatienten durchschnittlich bis zu 50 % "schwere Fälle" gewesen. 15 % aller Patienten, fast alles Neupatienten, hätten bis zu 58,2 % der Gesamtpunktmenge verursacht. Ferner habe er 1999, insbesondere in fünf außerordentlichen Fällen, umfangreiche konservierend-chirurgische Leistungen bei behandlungsunwilligen Kindern erbracht. Bei der Überschreitung der Leistungen der Nr. 33 sei zu berücksichtigen, dass er Anfang 1999 ein Ultraschallgerät Piezon Master R angeschafft habe, das zur Desinfektion gangränöser Wurzelkanäle und zur Entfernung der sogenannten "Smear-layer"-Schicht eingesetzt worden sei. Zudem sei die Überschreitung wegen des hohen Anteils von "Nullabrechnern" zu relativieren. Die relativ hohen Quoten bei den Nrn. 25 und 26 seien auf das gründliche Exkavieren kariöser Läsionen zurückzuführen. Die Mehraufwendungen bei den Nrn. 28, 32, 34 und 35 hätten zu erheblichen kompensatorischen Einsparungen bei den Extraktionen geführt. Die relative Häufigkeit der Nrn. 40 und 49 sei durch sehr starke Aktivität bei PAR- und ZE-Behandlungen begründet. Nahezu bei jeder Zahnpräparation für Kronen und Brücken entferne er mit einer Elektrotomnadel störendes Zahnfleisch. Außerdem habe er Kürettagen von Zahnfleischtaschen ohne PAR-Antrag nach dieser Nr. in Ansatz gebracht. Die erhöhte Abrechnung der Nr. 12 sei auf den Mehraufwand an Zahnersatz zurückzuführen. Der Zusammenhang mit den ZE-Leistungen sei zu berücksichtigen. Er habe im Rahmen dieser Behandlungen vermehrt zweiflächig abzurechnende ZE-Aufbaufüllungen angefertigt; hierbei seien vermehrt übermäßige Papillenblutungen zu stillen gewesen. Schließlich sei auch sei die Tätigkeit der Ausbildungsassistentin zu berücksichtigen.

Der Prüfungsausschuss kürzte das Honorar des Klägers für die Quartale 1/1999 bis 4/2001 i.H.v. 12.041,37 EUR (Beschlüsse vom 11.09.2002).

Dagegen legten sowohl der Kläger als auch die Krankenkassen Beschwerde ein. Der Kläger trug ergänzend vor, das praktizierte Wirtschaftlichkeitsprüfverfahren sei nicht rechtmäßig. Honorarkürzungen aufgrund einer Wirtschaftlichkeitsprüfung verstießen gegen Artikel (Art.) 3 und 12 Grundgesetz (GG). Die Entscheidung, welche zahnärztlichen Maßnahmen im Einzelfall indiziert seien, liege allein in der Verantwortung des Zahnarztes. Der Prüfungsausschuss habe die benannten Praxisbesonderheiten ebenso wie die kompensatorischen Einsparungen nicht bz...

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