Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Krankenversicherung: Versorgung mit Arzneimitteln bei einem Festbetrag. Voraussetzung der Gewährung einer Ausnahme von der Begrenzung auf den Festbetrag. Anforderungen an die Annahme einer atypischen Situation

 

Orientierungssatz

1. Soweit zu einem Medikament (hier: Blutdrucksenkungsmittel) ein in einer Festbetragsliste enthaltenes Medikament mit gleicher Wirkstoffkombination und nahezu identischen Hilfsstoffen gegeben ist, kommt für einen in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten lediglich die Versorgung mit dem Medikament zum Festbetrag in Betracht. Eine Versorgung mit einem höherpreisigen Medikament kommt insoweit nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn eine Versorgung mit einem zum Festpreis erhältlichen Medikament aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich ist. Dazu bedarf es im Regelfall eines Heilungsversuchs, bei dem unerwünschte gesundheitsbeeinträchtigende Nebenwirkungen, die über bloße Unannehmlichkeiten oder Befindlichkeitsstörungen hinausgehen, objektiv festgestellt wurden.

2. Einzelfall zur Auferlegung einer Mißbrauchgebühr für die Fortführung eines Rechtsstreits im Berufungsverfahrens trotz fehlender Erfolgsaussicht (hier: Mißbrauchgebühr in Höhe von 500 Euro festgesetzt).

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Duisburg vom 08.04.2016 wird zurückgewiesen.

Der Klägerin werden Kosten in Höhe von 500,00 EUR auferlegt. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über eine Versorgung mit dem Arzneimittel Blopress® 16 mg Plus 12,5 mg (Wirkstoff: Candesartan und Hydrochlorothiazid) ohne Begrenzung auf den Festbetrag.

Die am 00.00.1957 geborene Klägerin ist Mitglied der beklagten Krankenkasse. Wegen ihrer Bluthochdruckerkrankung löste sie am 17.07.2014 ein vom Internisten Dr. H verordnetes Rezept für das Medikament Blopress® 16 mg Plus 12,5 mg in einer Apotheke ein. Hinsichtlich der von ihr hierfür gezahlten 62,69 EUR beantragte sie bei der Beklagten am gleichen Tag Kostenerstattung.

Mit Schreiben vom 28.07.2014 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass Kosten bei der Versorgung mit einem Arzneimittel ohne Begrenzung auf einen bestehenden Festbetrag nur in einem sogenannten atypischen Ausnahmefall übernommen werden könnten. Dies sei anzunehmen, wenn bei allen zum Festbetrag erhältlichen Arzneimitteln unerwünschte Nebenwirkungen aufträten. Zur Prüfung, ob ein "atypischer Ausnahmefall" vorliege, bedürfe es einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK). Dafür würden weitere, näher aufgeführte Unterlagen benötigt. Die Klägerin erhielt eine Übersicht der zur Verfügung stehenden wirkstoffgleichen Arzneimittel sowie eine Abschrift der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 03.07.2012 - B 1 KR 22/11 R -.

Dagegen wandte sich die Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 16.08.2014. Sie habe bereits einige Medikamente mit dem Wirkstoff getestet, die sie sämtlich nicht vertragen habe und die nicht wie nötig auf den Blutdruck gewirkt hätten. Ihr könne nicht zugemutet werden, sämtliche Arzneimittel zum Festbetrag zu testen, da dies binnen kurzer Zeit mit einer lebensgefährlichen Verschlechterung des Gesundheitszustands verbunden wäre. Im Nachgang legte die Klägerin eine Bescheinigung des Facharztes für innere Medizin Dr. H vom 24.09.2014 vor, der zufolge lediglich das verordnete Bluthochdruck-Medikament gut von der Klägerin vertragen werde und nachhaltig ein gutes Blutdruckverhalten auch in der Langzeitmessung ergebe.

Die Beklagte holte eine sozialmedizinische Stellungnahme des MDK vom 22.10.2014 ein. Demnach gebe es mehrere Medikamente zu Preisen gleich oder unterhalb der Festbetragsgrenze mit identischer Wirkstoffkombination und Dosierung (z.B. von Ratiopharm, Heumann und Zentiva). Aus den vorliegenden Unterlagen gehe nicht hervor, dass diese formal identischen Präparate Nebenwirkungen hervorriefen, die den Schweregrad einer behandlungsbedürftigen Krankheit aufwiesen, oder den Blutdruck in nachvollziehbarer Weise relevant anders beeinflussten als das begehrte Präparat. Auf Grundlage dieser medizinischen Einschätzung lehnte die Beklagte den Kostenübernahmeantrag mit Bescheid vom 28.10.2014 ab.

Die Klägerin legte sodann eine Bescheinigung von Dr. H vom 14.01.2015 vor, in der er ausführt, dass die Behandlung mit Enalapril, und ab 2000 in Kombination mit Pilidat und Dytide nicht suffizient gewesen sei. Die Behandlung mit Generika wie Candesartan und Valsarten nach Auslaufen des Patents von Blopress® 16 mg Plus 12,5 mg habe Nebenwirkungen wie Flash, Übelkeit, Kopfschmerz und Schwindelattacken verursacht.

Die Beklagte holte ein Widerspruchsgutachten des MDK vom 03.02.2015 ein. Dieser konnte nicht nachvollziehen, dass alle zur Verfügung stehenden Arzneimitteloptionen auf Festbetragsniveau nicht in Betracht kämen. Kopien von ärztlichen Meldungen über Nebenwirkungen oder unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) an die für die Pharmak...

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