Entscheidungsstichwort (Thema)

Prozesshandlung. Zurücknahme der Berufung. Anfechtbarkeit

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Zurücknahme der Berufung ist nicht frei widerruflich. Sie ist auch nicht entsprechend §§ 119, 123 BGB anfechtbar. Die Anfechtung einer Prozesserklärung wegen Irrtums ist generell unzulässig.

Das Wiederaufgreifen eines durch Zurücknahme der Berufung beendeten Rechtsstreits ist ausnahmsweise dann möglich, wenn Wiederaufnahmegründe im Sinne der §§ 179, 180 SGG in Verbindung mit §§ 579, 580 ZPO vorliegen.

 

Normenkette

SGG § 141 Abs. 1, § 156 Abs. 3 S. 1, §§ 179-180; ZPO §§ 579-580; BGB §§ 119, 123

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 29.10.2018; Aktenzeichen B 13 R 4/18 BH)

 

Tenor

Es wird festgestellt, dass das Berufungsverfahren im Hinblick auf die Berufungsanträge zu Nr. 3) - 5) durch Zurücknahme der Berufung teilweise erledigt ist. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Feststellung rentenrechtlich erheblicher Daten in einem Vormerkungsverfahren.

Der 1966 geborene Kläger besuchte vom 1.8.1982 bis zum 14.6.1985 die Berufsfachschule N (Ernährung und Hauswirtschaft) und erwarb dort die Fachoberschulreife. Anschließend besuchte er vom 1.8.1985 bis zum 31.7.1986 eine Fachschule im Bildungsgang "Hauswirtschaftlich-technischer Assistent - Fachhochschulreife/Allgemeine Hochschulreife" in der Jahrgangsstufe 11. Am 25.5.1987 begann er eine Ausbildung zum Industriekaufmann bei der Privaten Fachschule für Betriebswirtschaft und Datenverarbeitung E. Der Ausbildungsvertrag endete mit dem 24.5.1990. Die Berufsschule habe er bis zum 5.6.1990 besucht. Am 29.5.1990 meldete sich der Kläger arbeitslos. Am 12.6.1990 schloss er die Ausbildung zum Industriekaufmann mit Bestehen der mündlichen Prüfung erfolgreich ab. Ausweislich der der Beklagten vorliegenden Daten zur Erwerbsbiografie des Klägers ist der Kläger seit Februar 2002 durchgehend arbeitslos. Bis zum 5.10.2002 bezog er Arbeitslosengeld, vom 6.10.2002 bis zum 31.12.2004 Arbeitslosenhilfe und ab dem 1.1.2005 laufend Arbeitslosengeld II. Die im Versicherungsverlauf des Klägers gespeicherten Daten stellte die Beklagte für die Zeit bis zum 31.12.2002 verbindlich fest und berücksichtigte dabei die Zeiten vom 25.5.1987 bis zum 24.5.1990 mit "Pflichtbeitragszeit" und vom 29.5.1990 bis zum 30.6.1990 mit "Arbeitslosigkeit". Die Verbindlichkeit der übrigen Daten (nach dem 31.12.2002) werde zu gegebener Zeit in einem weiteren Bescheid geregelt. Über die Anrechnung und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten werde erst bei der Feststellung einer Leistung entschieden (Vormerkungsbescheid vom 6.7.2009; Widerspruchsbescheid vom 19.10.2009). Im anschließenden gegen die Beklagte und die Bundesrepublik Deutschland gerichteten Klageverfahren beanstandete der Kläger unter Hinweis auf die - bis zum 31.12.2008 im Bescheid aufgeführten - Zeiten der Arbeitslosigkeit eine Verletzung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10.12.1948 und der Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) vom 1.8.1975. Er forderte eine Gleichbehandlung aller Zeiten der Arbeitslosigkeit und eine bedarfsgerechte, nicht ausgrenzende Absicherung aller Arbeitslosen, die auch eine menschenwürdige Absicherung in der Rentenversicherung umfasse. Nach einem Jahr Arbeitslosengeld II (Alg II) erwerbe man nur einen Rentenanspruch von 2,10 EUR. Insbesondere Langzeitarbeitslose würden diskriminiert. Dies sei unangemessen, menschenrechtswidrig und menschenverachtend. Die Klage blieb in allen Instanzen ohne Erfolg. Es fehle insbesondere an einer Beschwer, weil nur die Zeiten bis zum 31.12.2002 verbindlich festgestellt würden (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts (SG) Düsseldorf vom 13.3.2013, Aktenzeichen (Az) S 44 (15) R 223/09; Urteil des LSG NRW vom 15.11.2013, Az L 14 R 338/13; Beschluss des Bundessozialgerichts (BSG) vom 3.4.2014, Az B 13 R 4/14 BH).

Auf einen im November 2013 gestellten, erneuten Antrag des Klägers stellte die Beklagte die im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten nunmehr bis zum 31.12.2007 verbindlich fest, soweit sie nicht bereits früher festgestellt worden sind (Bescheid vom 28.3.2014).

Mit seinem Widerspruch bat der Kläger darum, die Zeit vom 25.5. bis 12.6.1990 als Ausbildungszeit zu berücksichtigen. Er habe seine Ausbildung zum Industriekaufmann (erst) am 12.6.1990 (und nicht bereits am 24.5.1990) abgeschlossen, da er vom 25.5. bis 5.6.1990 die Berufsschule besucht und erst am 12.6.1990 die Prüfung abgelegt habe. Die Prüfung sei Bestandteil der Ausbildung, so dass diese erst mit dem Bestehen am 12.6.1990 geendet habe. Soweit der Bescheid Daten zu Zeiten, in denen er Arbeitslosenhilfe und Arbeitslosengeld II bezogen habe, enthalte, verstoße die unterschiedliche Behandlung dieser Zeiten und der Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld I gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz.

Die Beklagte lehnte in ...

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