Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld. Erstattungspflicht des Arbeitgebers. Befreiungstatbestand. Kommune. unzumutbare Belastung. erheblicher Personalabbau. Nachweis
Orientierungssatz
1. Grundsätzlich kann auch bei Kommunen die unzumutbare Belastung der Inanspruchnahme nach § 128 Abs 2 Nr 2 AFG beachtlich sein. Die fehlende Konkursfähigkeit des Gemeindevermögens ist kein sachgerechtes Kriterium, Kommunen von vornherein von der Befreiungsmöglichkeit auszuschließen.
2. § 128 Abs 2 Nr 2 AFG enthält neben der Gefährdung des Fortbestandes des Unternehmens auch die Gefährdung verbleibender Arbeitsplätze als Ausschlußtatbestand - eine Konkretisierung, die unterhalb der Grenze der Existenzgefährdung liegt. Eine "unzumutbare Belastung" iS der Vorschrift kann nur angenommen werden, wenn durch die Erstattungspflicht ein weiterer Personalabbau droht, der im Verhältnis zur Gesamtzahl der Beschäftigten und im Hinblick auf die bisher erledigten Aufgaben ins Gewicht fällt. Ein Personalabbau von ca 2 vH über einen Zeitraum von 4 Jahren und deutlich weniger als 1 vH je Haushaltsjahr wird nicht als erheblich angesehen.
3. Allein der rechnerische Gegenüberstellung der Gesamterstattungsforderung mit den Kosten je Arbeitsplatz, belegt für sich noch nicht die Gefährdung auch von konkreten Arbeitsplätzen in dieser Größenordnung. Eine solche Rechnung läßt sich mit jeder zusätzlichen Belastung der Kommune anstellen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Rahmen des § 128 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) um die Erstattung von 12.452,61 DM.
Die 1935 geborene Arbeitnehmerin I M (M) war seit Juni 1971 bei der Klägerin als Raumpflegerin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete im Hinblick auf die Regelungen zum Vorruhestand (58er-Regelung) durch Aufhebungsvertrag vom 30.06.1994 zum 31.08.1994.
Die Beklagte stellte zunächst den Eintritt einer Sperrzeit vom 01.09.94 bis 23.11.1994 fest (Bescheid vom 06.09.1994) und bewilligte der M sodann Arbeitslosengeld bis 31.08.1995 in Höhe von wöchentlich 202,80 DM. Von der Klägerin erhielt diese vereinbarungsgemäß eine Ausgleichszahlung in Höhe des Differenzbetrages zwischen dem Arbeitslosengeld und 90 v.H. des Nettogehaltes. Seit September 1995 bezieht M von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) Altersrente für Frauen.
Die Beklagte hörte die Klägerin Ende August 1994 zur Erstattungspflicht nach § 128 AFG an. Die Klägerin wies wie in Vergleichsfällen auf den im Hinblick auf die wirtschaftliche Lage der Stadt Recklinghausen am 14.03.1994 gefaßten Ratsbeschluß zur Handhabung der 58er-Regelung hin. Sie habe bereits im Februar 1994 für den gesamten Erstattungszeitraum die Befreiung von der Erstattungspflicht beantragt.
Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 19.04.1995, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 03.07.1995, die Erstattungspflicht der Klägerin dem Grunde nach für 624 Tage fest. Umstände, die nach § 128 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 7 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AFG den Nichteintritt der Erstattungspflicht rechtfertigten, seien weder vorgetragen noch nach Aktenlage erkennbar.
Mit der am 01.08.1995 erhobenen Klage hat die Klägerin den Befreiungsantrag des Personalamtes vom 30.01.1995 mit der Stellungnahme zur Haushaltssituation 1995 und zur Personalkostenkonsolidierung sowie ein Schreiben des Oberkreisdirektors vom 06.03.1995 zur Finanzsituation der Stadt Recklinghausen vorgelegt. Hieraus ergebe sich eindeutig, daß die Erstattung der an die ehemalige Arbeitnehmerin M gezahlten Leistungen für die Klägerin eine unzumutbare Belastung bedeute. Sie hat auf die Rechtsprechung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) hingewiesen, nach der sich auch Kommunen auf den Befreiungstatbestand des § 128 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AFG berufen könnten.
Die Beklagte hat während des Klageverfahrens mit Abrechnungsbescheid vom 11.09.1995 die Erstattungspflicht der Klägerin auch der Höhe nach mit 12.452,61 DM festgestellt und an ihrer Ansicht festgehalten, der Befreiungstatbestand des § 128 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AFG sei schon deshalb nicht erfüllt, weil Kommunen nach der Gemeindeordnung nicht konkursfähig seien; ihr Bestand sei verfassungsmäßig garantiert.
Das Sozialgericht Gelsenkirchen (SG) hat durch Urteil vom 28.11.1996 die angefochtenen Bescheide der Beklagten bestätigt und in den Gründen ausgeführt, die Klägerin habe nicht dargelegt, daß durch die Erstattung ihr Fortbestand und nach Durchführung des Personalabbaus die verbliebenen Arbeitsplätze gefährdet seien. Der von der Klägerin errechnete zusätzliche Abbau von 30 Arbeitsplätzen falle bei einer Gesamtbeschäftigungszahl von 1.900 nicht ins Gewicht.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 09.12.1996 zugestellte Urteil am 07.01.1997 Berufung eingelegt und ergänzend angeführt, daß bei ihr auch im Haushaltsjahr 1996 ein Fehlbetrag von 9.1 Millionen DM bestehe. Entgegen der Ansicht des SG sei es nicht erforderlich, konkret darzulegen, welche Arbeitsplätze im Einzelnen durch die Inanspruchnahme nach § 128 AFG gefährdet seien. Angesichts der Haushaltssituati...