Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht: Ermittlung des Grades der Behinderung. Bildung des Gesamt-GdB. Berücksichtigung von Leiden mit geringen Auswirkungen bei der Bildung des Gesamt-GdB
Orientierungssatz
1. Ein festgestellter Einzel-GdB von 20, dem nur eine Funktionseinschränkung mit geringen Auswirkungen zugrunde liegt (hier: Teilhabebeeinträchtigungen durch Bluthochdruck), wirkt im Regelfall bei der Bildung des Gesamt-GdB nicht erhöhend.
2. Kommen bei einem Betroffenen mehrere Einzel-GdB zwischen 20 und 30 zusammen, so rechtfertigt das in der Regel nicht die Zuerkennung eines Gesamt-GdB von 50 (Anschluss LSG Essen, Urteil vom 29. August 2012, L 10 SB 89/12).
3. Einzelfall zur Bestimmung der Grade der Behinderung für verschiedene Funktionsbeeinträchtigungen und Bildung eines Gesamt-GdB.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 14.03.2013 wird zurückgewiesen.
Dem Kläger werden Kosten in Höhe von 500 Euro auferlegt. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger beansprucht im Rahmen eines Änderungsantrags die Feststellung der Schwerbehinderung nach dem Neunten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB IX)
Bei dem am 00.00.1953 geborenen Kläger hatte das damals noch zuständige Versorgungsamt B mit Bescheid vom 14.11.2007 für Funktionsbeeinträchtigungen von Seiten der Wirbelsäule, des Herz/Kreislauf-Systems sowie der Psyche einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 festgestellt.
Am 01.03.2010 beantragte der Kläger die Feststellung eines höheren GdB. Der Beklagte wertete Befunde der behandelnden Ärzte und Krankenanstalten aus und stellte mit Bescheid vom 14.06.2010 einen GdB von 40 fest.
Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, im Vergleich zum Bescheid von November 2007 habe sich sein Gesundheitszustand sehr verschlechtert; dies sei nicht ausreichend gewürdigt worden. Der Beklagte zog einen weiteren Befundbericht des Neurochirurgen Dr. X bei (18.08.2010). Unter Auswertung dieses Berichts wies die Bezirksregierung Münster mit Bescheid vom 04.10.2010 den Widerspruch zurück.
Der Kläger hat am 20.10.2010 beim Sozialgericht (SG) Münster mit dem Begehren Klage erhoben, den GdB mit 70 festzustellen. Zur Begründung hat er insbesondere auf nicht berücksichtigte Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse, Leisten- und Nabelbrüche sowie auf schlechte Blutdruckwerte hingewiesen.
Das SG hat Befundberichte des behandelnden Internisten T., der ua von Depressionen des Klägers berichtet (10.01.2011) sowie der Institutsambulanz für Psychiatrie und Psychotherapie des St.-B/St.-K-Krankenhauses O eingeholt (28.02.2011) in dem sich der Kläger seit dem Jahr 2000 in ambulanter und teilweise vollstationärer psychiatrischer Behandlung wegen einer rezidivierenden depressiven Störung befand. Sodann hat das SG Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Internisten und Psychotherapeuten Dr. L vom 11.07.2011. Der Sachverständige (SV) hat für Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule und der Psyche jeweils einen GdB von 30, für den Bluthochdruck mit beginnenden Endorganschäden einen GdB von 20 und für Funktionsbeeinträchtigungen der oberen Extremitäten (rechte Schulter) und des Magens (Oberbauchbeschwerden und Gastritis) einen solchen von jeweils 10 angenommen. Er hat einen Gesamt-GdB von 40 als angemessen erachtet, weil zusammenfassend bei führender Funktionsbeeinträchtigung von Seiten der Wirbelsäule und der Psyche eine Anhebung auf einen Teilgrad der Behinderung von 40 zu empfehlen sei. Unter Berücksichtigung der mit einem schwacher 20er-Wert zu beurteilenden Herz-Kreislauf-Erkrankung sei keine weitere Anhebung zu begründen.
Auf den auf weitere medizinische Befunde gestützten Einwand des Klägers, die bei ihm vorliegende psychische Erkrankung sei nicht ausreichend berücksichtigt, hat das SG weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens von dem Neurologen/Psychiater und Psychotherapeuten Dr. N vom 18.04.2012. Der SV hat für eine seelische Beeinträchtigung einen GdB von 30 angenommen. Er hat den Gesamt-GdB mit 50 eingeschätzt, weil die Funktionsbeeinträchtigungen von Seiten der Wirbelsäule, der Psyche und die Oberbauchbeschwerden sich gegenseitig verstärkten, da sie verschiedene Bereiche beim Ablauf des täglichen Lebens beträfen.
Der SV Dr. L hat unter Berücksichtigung des psychiatrischen Gutachtens in einer ergänzenden Stellungnahme an seiner Beurteilung des Gesamt-GdB festgehalten und ausgeführt, es ergebe sich durch die psychisch bedingten Funktionsbeeinträchtigungen keine relevante weitere GdB-Anhebung. Diese Funktionsbeeinträchtigungen würden sich mit denen von Seiten der Wirbelsäule erheblich überschneiden. Es liege eine chronische Schmerzsymptomatik vor, die bei der Wirbelsäule bereits mitbewertet sei. Ein Gesamt-GdB von 50 entspreche auch nicht einer Gesamtbetrachtung der Beschwerdesymptomatik und der Berücksichtigung entsprechender Vergleichsgruppen. Der SV Dr. N ist...