Entscheidungsstichwort (Thema)
Bildung des Gesamtgrades der Behinderung im Schwerbehindertenrecht
Orientierungssatz
1. Liegen mehrere Funktionsbeeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der im Schwerbehindertenrecht maßgebliche Gesamt-GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB 9 nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.
2. Ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB ist in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden.
3. Eine koronare Herzkrankheit mit einer Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung und mäßiggradig ausgeprägter Kreislauflage ist mit einem GdB von 30 nach VersMedV B Nr. 9 zu bewerten.
4. Ein Diabetes mellitus ohne maßgebliche Einschnitte in der Lebensführung ist nach VersMedV B Nr. 15.1 allenfalls mit einem GdB von 20 zu bewerten.
5. Eine Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule mit Seitneigungsfehlhaltung und umbildenden Veränderungen in einem Wirbelsäulenabschnitt ist nach VersMedV B Nr. 18.9 mit einem GdB von 20 zu bewerten.
6. Aus einem Teil-GdB-Wert von 30 und zwei weiteren GdB-Werten von jeweils 20 ist ein Gesamt-GdB von 40 zu bilden.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 03.02.2012 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Höhe des beim Kläger festzustellenden Grades der Behinderung (GdB) nach dem 9. Buch des Sozialgesetzbuches (SGB IX) im Rahmen eines Änderungsantrags.
Bei dem am 00.00.1947 geborenen Kläger wurde zuletzt mit Bescheid vom 07.10.1997 ein GdB von 20 für Funktionsbeeinträchtigungen von Seiten des Herzens festgestellt.
Im Oktober 2009 beantragte der Kläger die Feststellung eines höheren GdB. Der Beklagte wertete einen Befundbericht der behandelnden Hausärztin Dr. L vom 10.12.2009 aus und lehnte den Antrag mit Bescheid vom 18.01.2010 ab. Auf den Widerspruch des Klägers holte der Beklagte einen internistischen Befundbericht von Dr. C (22.02.2010) ein und stellte mit Abhilfebescheid vom 25.03.2010 nunmehr ab 01.10.2009 einen GdB von 30 fest. Der Kläger hielt seinen Widerspruch aufrecht und führte Schmerzen in Knie- und Schultergelenken an. Er werde von dem Orthopäden Dr. P behandelt. Der Beklagte zog auch von diesem Arzt einen Befundbericht bei (29.04.2010) und stellte mit weiterem Abhilfebescheid vom 14.06.2010 einen GdB von 40 fest. Die Behinderungen bezeichnete er wie folgt:
1. Koronare Herzkrankheit, Bypassoperation nach Herzinfarkt, Bluthochdruck;
2. Wirbelsäulen-Schulter-Arm-Syndrom bei degenerativen Veränderungen;
3. Diabetes mellitus;
4. Knie-Knorpelschaden, Spreizfußdeformität mit Gangstörung bei Übergewicht;
5. Schulter-Arm-Syndrom.
Sodann wies er den Widerspruch im Übrigen mit Bescheid vom 20.08.2010 zurück.
Der Kläger hat am 06.09.2010 beim Sozialgericht (SG) Münster Klage erhoben und zur Begründung ein Attest von Dr. L vorgelegt, in welchem eine progrediente Einschränkung der Belastbarkeit und der Luftnotsymptomatik, insbesondere wegen der Herzerkrankung, beschrieben wird.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines internistischen und sozialmedizinischen Gutachtens von Dr. M (Gutachten vom 04.05.2011), sowie eines chirurgischen Zusatzgutachtens von Dr. C1 (Gutachten vom 08.02.2011). Die Sachverständigen (SV) haben für Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule und für den Diabetes jeweils einen soeben erreichten GdB von 20, für Funktionsbeeinträchtigungen der unteren Extremitäten einen GdB von 20, und für die Beeinträchtigungen im Herz-Kreislaufsystem einen GdB von 30 angenommen. Insgesamt sei - so der Hauptgutachter Dr. M - der Gesamt-GdB mit 40 zu bewerten, weil zwischen den einzelnen Behinderungen gewisse gegenseitige und ungünstige Beeinflussungen erkennbar seien.
Das SG hat die Klage nach vorheriger Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 03.02.2012 abgewiesen und die Entscheidung im Wesentlichen auf die Ausführungen und Ergebnisse in den Gutachten von Dr. C1 und Dr. M gestützt.
Der Kläger hat gegen den ihm am 10.02.2012 zugestellten Gerichtsbescheid am 02.03.2012 Berufung eingelegt. Seiner Meinung nach ist die Gesamt-GdB-Bildung mit 40 nicht haltbar. Die mit einem Einzel-GdB von 20 bewerteten Behinderungen auf orthopädischem Gebiet beträfen das gesamte Achsenskelett und würden sich erschwerend ungünstig beeinflussen. Die Behinderungen aufgrund des Herzleidens sowie des Diabetes seien völlig unabhängig von den orthopädischen Beschwerden zu sehen. Stünden die Auswirkungen von drei Gesundheitsstörungen, die einen GdB von 30 und zweimal 20 bedingen, unabhängig nebeneinander, so sei nach der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) ein Gesamt-GdB 50 gerechtfertigt (so Urteile des LSG NRW vom 28.06.2007, L 7 SB 152/04 und vom 31.03.2009, L 6 SB 110/08). Bestätigt werde ...