Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. sozialgerichtliches Verfahren. notwendige Beiladung. Verpflichtung des beigeladenen Leistungsträgers nach dem AsylbLG gem § 75 Abs 5 Alt 3 SGG. Kostenerstattung für eine stationäre Krankenhausbehandlung. analoge Anwendung des § 25 S 1 SGB 12. keine Begrenzung des Anspruchsumfangs durch Kenntnis vom Hilfefall. Abrechnung der Krankenhausbehandlung als Fallpauschale nach DRG-Vergütungssystem. unteilbarer Anspruch. Anspruchsentstehung. Tag der Aufnahme im Krankenhaus. Zuständigkeitswechsel des Kostenträgers. Kostenabrechnung mit Kostenträger der ab dem Tag der Aufnahme leistungspflichtig. örtliche Zuständigkeit nach § 10a AsylbLG. Erledigung einer erteilten Zuweisungsentscheidung. Nichtabtretbarkeit von Ansprüchen nach § 4 AsylbLG. keine Verzinsung
Leitsatz (amtlich)
1. § 75 Abs 5 SGG ist für Leistungsträger nach dem AsylbLG analog anwendbar.
2. § 25 SGB 12 ist bei Nothelferleistungen zugunsten eines nach § 4 AsylbLG Leistungsberechtigten analog anzuwenden.
3. Bei Aufnahme des Hilfeempfängers in ein Krankenhaus dauert der Eilfall nur bis zur Kenntniserlangung des Leistungsträgers; danach anfallende Aufwendungen sind gegenüber dem Nothelfer nicht mehr nach § 25 SGB 12 erstattungsfähig, sondern betreffen allein den originären Leistungsanspruch des Hilfeempfängers.
4. Rechnet das Nothilfe leistende Krankenhaus nach dem DRG-Vergütungssystem ab, richtet sich die Erstattung nach § 25 SGB 12 ebenfalls nach den Vorgaben dieses Vergütungssystems.
Dabei ist eine Fallpauschale, die bereits mit der Krankenhausaufnahme des Hilfeempfängers insgesamt angefallen ist, komplett als Nothilfe erstattungsfähig, auch wenn der Hilfeträger noch vor Ende der Grenzverweildauer vom Hilfefall Kenntnis erlangt. Eine Aufteilung der Pauschale pro rata temporis bis zur Kenntniserlangung findet nicht statt.
Nicht als Nothilfe erstattungsfähig sind nach Kenntniserlangung und Überschreiten der Grenzverweildauer entstandene Ansprüche für die Krankenhausbehandlung; diese betreffen allein den originären Leistungsanspruch des Hilfeempfängers.
5. Jedenfalls dann, wenn Asylantrag und ggf Asylfolgeantrag bestandskräftig abgelehnt sind, eine erteilte Duldung abgelaufen ist und der Ausländer untertaucht, ist eine Zuweisungsentscheidung iS von § 10a Abs 3 S 4 AsylbLG erledigt; die Zuständigkeit des Leistungsträgers ergibt sich dann nicht mehr aus dem Umstand der (ehemaligen) Zuweisung, sondern aus den sonstigen Zuständigkeitsregelungen des § 10a AsylbLG.
6. Ansprüche nach § 4 AsylbLG sind in analoger Anwendung von § 17 Abs 1 S 2 SGB 12 nicht abtretbar.
7. Einem Nothelferanspruch des Krankenhauses aus § 25 SGB 12 folgt mangels gesetzlicher Grundlage kein Anspruch auf dessen Verzinsung.
Ein Anspruch auf Prozesszinsen kann nicht auf §§ 291, 288 BGB analog gestützt werden.
Die Erstattung an den Nothelfer nach § 25 SGB 12 ist lediglich eine Sozialleistung im weiteren Sinne (vgl BSG vom 11.6.2008 - B 8 SO 45/07 B = SozR 4-1500 § 183 Nr 7); Verzugszinsen gem § 44 SGB 1 können daher nicht verlangt werden.
Orientierungssatz
Eine Verurteilung gem § 75 Abs 5 SGG kann erfolgen, ohne dass ein Vorverfahren durchgeführt worden ist. Dies gilt erst Recht, wenn ein Vorverfahren noch andauert.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beigeladenen wird das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 22.10.2010 geändert. Die Beigeladene wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 07.05.2009 verurteilt, an die Klägerin 19.144,79 EUR zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.
Die Beigeladene trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 5/6.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin als Anstalt öffentlichen Rechts beansprucht die Erstattung von Aufwendungen für die stationäre Krankenhausbehandlung eines Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
Der nach seinen Angaben 1974 geborene nigerianische Staatsangehörige P (im Folgenden: Hilfebedürftiger) beantragte (bei angegebener Ersteinreise am 27.07.1992) erstmals 1992 in der Bundesrepublik Deutschland Asyl. Er wurde mit Bescheid vom 10.08.1992 durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Beklagten zugewiesen. Mit Bescheid vom 01.04.1993 wurde der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Das dagegen geführte Klageverfahren (Verwaltungsgericht (VG) Aachen 4 K 2835/93.A) blieb ohne Erfolg (Rechtskraft am 17.11.1994). Der Hilfebedürftige wurde nachfolgend in der Justizvollzugsanstalt Düsseldorf in Abschiebehaft genommen, nach erfolgreicher Beschwerde am 24.03.1995 jedoch aus der Haft entlassen.
Am 03.05.1995 wurde der Hilfebedürftige in der ihm zugewiesenen Asylunterkunft in X nicht angetroffen. Ein Mitbewohner gab an, ihn seit ca. drei Wochen nicht mehr gesehen zu haben. Er halte sich im Stadtgebiet der Beigeladenen auf. Noch am 27.04.1995 hatte er Sozialhilfe in X in Empfang genommen. Die Beklagte teilte dem Kreis B nachfolgend mit, der Hi...