Entscheidungsstichwort (Thema)
Arzneimittelregress gegenüber dem Vertragsarzt wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise
Orientierungssatz
1. Als Rechtsgrundlage für einen Regress wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise des Vertragsarztes sieht § 106 Abs. 2 Nr. 1 1. Alternative SGB 5 die Prüfung nach Durchschnittswerten als Regelprüfmethode vor.
2. Für die Geltendmachung von Regressansprüchen aufgrund einer Wirtschaftlichkeitsprüfung gilt eine vierjährige Ausschlussfrist.
3. Regelprüfmethode ist die statistische Vergleichsprüfung. Steht der Behandlungs- bzw. Verordnungsaufwand des geprüften Vertragsarztes in offensichtlichem Missverhältnis zum durchschnittlichen Aufwand der Vergleichsgruppe, so hat das die Wirkung eines Anscheinsbeweises der Unwirtschaftlichkeit.
4. Unter Berücksichtigung der Altersstruktur der Praxis eines Augenfacharztes ist ein Toleranzrahmen von bis zu 50 % der Vergleichswerte zulässig. Praxisbesonderheiten oder kompensatorische Einsparungen sind vom Prüfungsausschuss nur dann zu berücksichtigen, wenn sie vom Vertragsarzt substantiiert dargelegt sind.
5. Hierzu hat der Vertragsarzt konkret darzulegen, bei welchem der von ihm behandelten Patienten aufgrund welcher Erkrankungen im Einzelnen welcher erhöhte Verordnungsaufwand erforderlich war.
6. Die Anerkennung kompensatorischer Aufwendungen setzt voraus, dass zwischen dem Mehraufwand auf der einen und den Kostenüberschreitungen auf der anderen Seite ein kausaler Zusammenhang besteht.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 01.04.2008 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der seit 1994 als Facharzt für Augenheilkunde in C zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Kläger wendet sich gegen Arzneimittelregresse wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise in den Quartalen I/2000 bis IV/2001.
Die Arzneimittelverordnungen des Klägers überschritten die Durchschnittswerte der Vergleichsgruppe der Augenärzte je Fall gewichtet nach Versichertenstatus (Mitglied/Familienmitglied/Rentner (M/F/R)) in der streitbefangenen Zeit wie folgt:
(Werte in DM)
I/2000 - II/2000 - III/2000 - IV/2000 - I/2001 - II/2001 - III/2001 - IV/2001
Fallwert Arzt:
28,61 - 33,29 - 31,46 - 28,30 - 31,21 - 28,24 - 34,73 - 38,18
Fallwert Arztgruppe:
17,18 - 18,58 - 17,98 - 17,10 - 15,19 - 16,85 - 18,59 - 18,99
Abweichung in %:
+ 66,5 / + 79,2 / + 75 / + 65,5 / + 105,5 / + 67,6 / + 86,8 / + 101,1
Der Prüfungsausschuss leitete für die Quartale I/2000 bis IV/2000 auf Antrag der Arbeitsgemeinschaft der Verbände der Krankenkassen/Ersatzkassen in Westfalen-Lippe von März 2001 (für I/2000), Juni 2001 (für II/2000), September 2001 (für III/2000) und Dezember 2001 (für IV/2000) und für die Quartale I/2001 bis IV/2001 von Amts wegen Wirtschaftlichkeitsprüfungen ein.
Mit Beschlüssen vom 02.03.2002 für die Quartale I/2000 bis III/2000 (Nichtabhilfebeschluss vom 25.09.2002), 17.07.2002 für das Quartal IV/2000 (Nichtabhilfebeschluss vom 03.09.2003), vom 04.12.2002 für die Quartale I/2001 bis III/2001 (Nichtabhilfebeschluss vom 21.05.2003) und vom 21.05.2003 für das Quartal IV/2001 (Nichtabhilfebeschluss vom 08.10.2003) setzte der Prüfungsausschuss nach Anhörung des Klägers wegen Überschreitungen der durchschnittlichen Arzneimittelkosten pro Fall im Vergleich zur Gebietsgruppe Regresse zu Gunsten der Primär- und Ersatzkassen für die Quartale I/2000 bis IV/2001 in der Höhe von insgesamt 50.277,22 Euro (für I/2000: 3,92 %, II/2000: 10,7 %, III/2000: 8,56 %, IV/2000: 9,36 %, I/2001: 26,99 %, II/2001: 10,5 %, III/2001: 19,71 % IV/2001: 25,39 %) fest.
Im Anhörungs- und Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, es seien Praxisbesonderheiten zu berücksichtigen. Er habe eine sog. Landarztpraxis mit einem überdurchschnittlich großen Einzugsgebiet. Auf Grund seiner Praxislage versorge er ein Gebiet im lippischen Südosten und den angrenzenden Bereichen u.a. der Kreise Höxter und Bad Pyrmont mit über 95.000 Einwohnern, während grundsätzlich für jeden augenärztlichen Kassensitz ein Einzugsgebiet mit nur ca. 20.000 bis 25.000 Einwohnern zu Grunde gelegt werde. Aus diesem Grund habe er eine Patientenkartei mit über 25.000 Patienten (Schreiben vom 27.05.2001) bzw. über 31.000 Patienten (Schreiben vom 01.11.2003) und eine deutlich erhöhte Anzahl chronisch Erkrankter. Bei den chronischen Erkrankungen handele es sich insbesondere um das Glaukom (sog. grüner Star), welches in seiner Behandlung vor allem auch wegen der in den letzten Jahren neuentwickelten innovativen und deutlich teureren Medikamente (Xalatan-AT, Alphagan-AT, Trusopz-AT, Cosopt-AT und Azopt-AT) die größten Kosten verursache, so dass die niedrigen Durchschnittswerte der Kollegen für ihn unerreichbar seien. Er habe in den Quartalen I/2000 bis IV/2001 einen Patientenanteil von 23,17 %, 27,8 %, 27,5 %, 26,5 %, 27,4 %, 27,96 % und 30,14 % mit Glaukomerkrankungen bzw. Verdacht auf eine solche Erkrankung behandelt. In deutschen Augenarztpr...