nicht rechtskräftig

 

Verfahrensgang

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 30.03.2001; Aktenzeichen S 10 (3) RJ 211/98)

 

Nachgehend

BSG (Aktenzeichen B 13 RJ 8/03 R)

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 30.03.2001 wird geändert. Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 21. Oktober 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Oktober 1998 verurteilt, die Zeit vom 01. Juli 1941 bis zum 31. Mai 1945 als Ersatzzeit rentensteigernd zu berücksichtigen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, die Zeit von Juli 1941 bis Mai 1945 als Ersatzzeit rentensteigernd zu berücksichtigen.

Der im ... 1924 geborene Kläger lebte als Pole jüdischen Glaubens bis Juni 1941 in D ..., Gebiet L ..., Ostgalizien, in der heutigen Ukraine. D ... gehörte bis zum Beginn des zweiten Weltkrieges zur Republik Polen und war - nach dem geheimen Zusatzprotokoll zum "Deutsch-Sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag" vom 28. September 1939 - bis Juni 1941 in sowjetischer Hand; am 01. November 1939 wurde das Gebiet in die Ukrainische Sowjetrepublik eingegliedert. Nach der deutschen Invasion der Sowjetunion am 22. Juni 1941 marschierten deutsche Truppen Ende Juni 1941 in D ... ein; am 01. August 1941 wurde die Stadt dem Generalgouvernement unterstellt.

Im Dezember 1989 beantragte der Kläger die Gewährung von Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres. Er gab an, von Juli 1937 bis Juni 1941 in D ... als Zahntechniker beschäftigt gewesen zu sein. Ende Juni 1941 sei er vor den heranrücken den deutschen Truppen aus D ... über Nikopol, Rostow/Don, Zimovnik, Astrachan nach K ... am Kaspischen Meer geflohen.

In K ... habe er bis Juni 1945 in einer Baracke gelebt und verschiedene Gelegenheitsarbeiten verrichtet. Anschließend sei er nach Polen zurückgekehrt und 1948 nach Israel ausgewandert. Seit dem ist er israelischer Staatsbürger.

Nachdem der Kläger seine Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis glaubhaft gemacht und freiwillige Beiträge nach dem deutsch-israelischen Sozialversicherungsabkommen nachentrichtet hatte, gewährte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 21. Oktober 1997 ab 01. Juli 1990 Altersruhegeld. Dabei berücksichtigte sie den Zeitraum vom 01. Juli 1939 bis zum 30. Juni 1941 als Beitragszeit. Gleichzeitig lehnte sie es ab, die Zeit vom 01. Juni 1941 bis zum 08. Mai 1945 als Ersatzzeit anzuerkennen, "weil die für die Feststellung rechtserheblichen Tatsachen nicht glaubhaft gemacht worden" seien.

Nachdem der Kläger dagegen am 11. November 1997 Widerspruch erhoben hatte, erläuterte die Beklagte ihre Entscheidung mit Schreiben vom 03. Juni 1998: Der Kläger sei kein Verfolgter i.S.d. § 1 Abs. 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG), weil er keinen konkreten Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen sei. Nach eigenen Angaben sei er vor den heranrückenden deutschen Truppen aus Verfolgungsfurcht in das Innere Russlands geflohen. Für Schäden, die bei oder infolge dieser Flucht entstanden seien, bestehe nach dem BEG keine Entschädigungsberechtigung. Eine Ersatzzeit könne deshalb nicht angerechnet werden. Unter Bezugnahme auf diese Begründung wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 1998 zurück.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 28. Oktober 1998 vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf Klage erhoben und ergänzend ausgeführt, in K ... für seine Arbeit kein Gehalt, sondern nur Lebensmittel und Unterkunft erhalten zu haben. Aufgrund der schlechten Ernährungslage habe er alle Zähne verloren. Außerdem hat der Kläger eine schriftliche Zeugenerklärung des W ... R ... aus P ... T ... in Israel vom 26. April 1999 vorgelegt, auf die Bezug genommen wird (Bl. 10 der Gerichtsakte).

Die Beklagte hat während des Klageverfahrens vom Bayerischen Landesentschädigungsamt eine gutachterliche Stellungnahme zu der Frage eingeholt, ob der Kläger zum Personenkreis des § 1 BEG gehören würde, wenn er seinen Entschädigungsantrag rechtzeitig gestellt hätte. Auf den Inhalt dieser Stellungnahme vom 21. Oktober 1999 (Bl. 23 bis 25 der Gerichtsakte) wird verwiesen.

Mit Urteil vom 30. März 2001 hat das SG die Klage abgewiesen: Der Kläger könne nicht als Verfolgter anerkannt werden, weil er den sowjetischen Machtbereich bei seiner Flucht nicht verlassen habe.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) sei derjenige, der aus Verfolgungsfurcht vor den heranrückenden deutschen Truppen geflohen, jedoch in dem Staat geblieben sei, in dessen Machtbereich er schon bisher gelebt habe, für Schäden nicht entschädigungsberechtigt, die bei oder infolge der Flucht außerhalb des deutschen Einflussgebietes entstanden seien. Denn im Vergleich zu anderen, nicht verfolgten Flüchtlingen aus Ostpolen fehle eine ausreichende Grundlage für die Annahme, dass die Gefahren der Flucht für die Juden erheblich größer gewesen seien. Eine Anerkennung der geltend ge...

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