Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung einer Beschäftigung im Ghetto als Beitragszeit
Orientierungssatz
1. Eine Beitragszeit der Rentenversicherung ist auch eine Zeit, in der ein Verfolgter in einem Ghetto eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt hat. Dabei genügt die Glaubhaftmachung.
2. Zur Anerkennung ist erforderlich, dass sowohl die Tätigkeit im Ghetto als auch deren Rentenversicherungspflichtigkeit glaubhaft gemacht wird. Für ein freies Beschäftigungsverhältnis ist wesentlich, dass die Beschäftigung aufgrund einer zweiseitigen Vereinbarung aufgenommen wurde und vom Grundsatz "Arbeit gegen Lohn" geprägt war.
3. Versicherungspflichtigkeit ist vom Grundsatz der Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit geprägt. Arbeit unter hoheitlichem Zwang ist Zwangsarbeit.
4. Entgeltlichkeit liegt erst dann vor, wenn für geleistete Arbeit eine Gegenleistung gewährt wird, die über freien Unterhalt bzw. allzu geringfügige Leistungen hinausgeht.
5. Das für geleistete Arbeit gewährte Entgelt muss dem Beschäftigten selbst zufließen. Wird Lohn an dritte Personen oder Organisationen ausbezahlt, liegt eine Entlohnung an den im Ghetto Inhaftierten nicht vor.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 27.01.2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Regelaltersrente. Streitig ist dabei lediglich noch, ob Arbeitszeiten der Klägerin im Ghetto Baranowice (im damaligen Reichskommissariat Ostland) von Dezember 1941 bis Dezember 1942 als glaubhaft gemachte Beitragszeiten auf die allgemeine Wartezeit anzurechnen sind.
Die am ... 1922 geborene Klägerin ist jüdischer Abstammung und anerkannte Verfolgte im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG). Seit Mai 1960 lebt sie in Israel und besitzt die israelische Staatsangehörigkeit.
Anlässlich eines von der Klägerin im Dezember 1960 eingeleiteten Entschädigungsverfahrens wurde ihr für die Zeit von August 1941 bis November 1943 eine Entschädigung wegen Freiheitsentziehung gewährt (Bescheid des Regierungspräsidenten Köln vom 12.12.1969). In einer eidesstattlichen Erklärung vom 15.06.1969 gab sie damals an, nach ihrer Flucht aus dem Ghetto Rowne im November 1941 in das Ghetto Baranowice eingewiesen worden zu sein. Dort habe sie gleich schwere Zwangsarbeiten wie zuvor im Ghetto Rowne verrichten müssen und ebenso wie alle anderen Ghettoinsassen unmenschlich unter Hunger, Kälte, Nässe, absoluter Unhygiene sowie Misshandlungen seitens der deutschen Wachposten leiden müssen. G C und O L bestätigten in Form eidesstattlicher Erklärungen vom 15.06.1969, dass die Klägerin von November 1941 bis Herbst 1942 im Ghetto Baranowice schwere Zwangsarbeit geleistet habe und Hunger, Mißhandlungen sowie Schlägen seitens der deutschen Wachen ausgesetzt gewesen sei.
Im Rahmen ihres im August 1993 bei der Claims Conference gestellten Antrags auf Leistungen aus dem Fonds für jüdische Zwangsarbeiter erklärte die Klägerin, von November 1941 bis September 1942 im Ghetto Baranowice gelebt und dort u.a. unter Hunger und Misshandlungen gelitten zu haben. In einer persönlichen Erklärung vom 14.05.2001 gab sie an, in den Jahren 1941/1943 im Ghetto Rowne und Baranowice sowie im dortigen Zwangsarbeitslager zu schwerster körperlicher Arbeit oder Zwangsarbeit gezwungen worden zu sein.
Am 13.11.2002 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Regelaltersrente unter Berücksichtigung einer Ghettobeitragszeit nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG). In dem Antragsformular vom 11.02.2003 machte sie geltend, von August bis November 1941 im Ghetto Rowne sowie anschließend bis Herbst 1942 im Ghetto Baranowice 60 Stunden wöchentlich verschiedene Arbeiten verrichtet zu haben. Die Frage nach dem Arbeitsverdienst - gefragt war nach der Höhe des Entgelts, gegebenenfalls Art und Umfang der Sachbezüge (z. B. Kost, Logis, Deputat) - beantwortete sie nicht. In dem Fragebogen für die Anerkennung von Zeiten nach dem ZRBG führte sie aus, innerhalb der Ghettos 10 Stunden täglich Reinigungsdienst verrichtet und für ihre Arbeit größere Nahrungsmittelrationen sowie Essen am Arbeitsplatz erhalten zu haben. Ob sie für ihre Tätigkeit Barlohn erhalten habe, sei ihr nicht erinnerlich. Der Arbeitseinsatz sei durch Vermittlung des Arbeitsamtes zustande gekommen. Auf dem Weg von und zur Arbeit sowie während der Arbeit sei sie von Polizisten bewacht worden. Sie könne Zeugen für die geltend gemachten Arbeitszeiten im Ghetto benennen. In einem weiteren Fragebogen erklärte die Klägerin unter dem 04.09.2003, im Ghetto Rowne und Baranowice täglich 10 Stunden die Leichen der Juden im Ghetto aufgesammelt und für ihre Arbeit "vergrößerte Lebensmittelrationen" erhalten zu haben.
Nach Beiziehung der Entschädigungsakten von der Bezirksregierung Düsseldorf und der Claims Conference lehnte die...