Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich. Festlegungen durch BVA für das Ausgleichsjahr 2014 sind wegen Verzichts auf die Annualisierung der Kosten unterjährig verstorbener Versicherter rechtswidrig. Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds. Regressionsverfahren. Ermittlung der Gewichtungsfaktoren. Erkenntnisstand. Verpflichtungsklage
Orientierungssatz
1. Die Festlegungen des Bundesversicherungsamtes (BVA) für das Ausgleichsjahr 2014 verstoßen wegen ihres Verzichts auf die Annualisierung der Kosten unterjährig verstorbener Versicherter gegen § 266 Abs 1 S 2, § 268 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB 5 iVm § 31 RSAV. Sie verfehlen insbesondere das von diesen Vorschriften formulierte zentrale Gesetzesziel, bei der Ausgestaltung des nach § 266 Abs 1 S 2 SGB 5 durchzuführenden Risikostrukturausgleichs zwischen den gesetzlichen Krankenkassen Anreize zur Auswahl ihrer Versicherten nach Morbidität (Risikoselektion) zu verringern.
2. In Bezug auf die Regressionsanalyse lässt sich aus Gesetz und Risikostruktur-Ausgleichsverordnung (juris: RSAV) keine Befugnis des BVA ableiten, im Interesse übergeordneter Erwägungen vor allem mit Blick auf eine Gesamtverbesserung der Wirkungsweise des Risikostrukturausgleichs auf die Korrektur eindeutig identifizierter Fehler des Berechnungsverfahrens zu verzichten, um damit Unzulänglichkeiten an anderer Stelle ganz oder teilweise zu kompensieren.
3. Weder Gesetz noch die RSAV verlangen für eine Änderung der Festlegungen einen Konsens aller in den Risikostrukturausgleich einbezogenen gesetzlichen Krankenkassen.
Normenkette
RSAV § 31 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1; SGB V § 266 Abs. 5-6
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Grundlagenbescheides I/2014 vom 15.11.2013 verurteilt, die vorläufige Höhe der Zuweisungen für das Jahr 2014 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu ermitteln.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 2.500.000,- Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds für das Jahr 2014 und in diesem Zusammenhang über die Berücksichtigung der Kosten verstorbener Versicherter.
Seit 1994 findet zum Ausgleich der unterschiedlichen Risikostrukturen zwischen den gesetzlichen Krankenkassen jährlich ein Risikostrukturausgleich (RSA) statt. Er zielt darauf ab, die finanziellen Auswirkungen von Unterschieden in der Verteilung der Versicherten auf nach Alter und Geschlecht getrennte Versichertengruppen und Morbiditätsgruppen zwischen den Krankenkassen auszugleichen.
Die gesetzlichen Regelungen der §§ 266 ff. Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) sehen seit dem 01.01.2009 vor, die Versichertengruppen und die Gewichtungsfaktoren nach Klassifikationsmerkmalen zu bilden, die zugleich die Morbidität der Versicherten unmittelbar berücksichtigen (so genannter Morbi-RSA). Die zur Bestimmung der Einzelheiten ergangene Regelung des § 31 Risikostrukturausgleichsverordnung (RSAV) macht dazu in Abs. 1 nähere Vorgaben für das Versichertenklassifikationsmodell (u.a. Begrenzung auf 50-80 Krankheiten) und regelt in Abs. 2 und 3 die Berufung eines Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesversicherungsamt (BVA), der Vorschläge für die Anpassung eines Klassifikationsmodells an die GKV und dessen Weiterentwicklung erarbeiten soll. Gemäß Abs. 4 legt das hierzu ermächtigte BVA auf der Grundlage dieser Empfehlung die zu berücksichtigenden Krankheiten, die aufgrund dieser Krankheiten zugrundezulegenden Morbiditätsgruppen, den Algorithmus für die Zuordnung der Versicherten zu den Morbiditätsgruppen, das Regressionsverfahren zur Ermittlung der Gewichtungsfaktoren und das Berechnungsverfahren zu Ermittlung der Risikostrukturzuschläge nach Anhörung der Spitzenverbände der Krankenkassen fest und gibt diese Festlegungen in geeigneter Weise bekannt. Das Festlegungsverfahren ist dokumentiert auf der Homepage des BVA unter "Risikostrukturausgleich" - "Festlegungen".
Die dem RSA dienenden Zuschläge für alle Risikogruppen werden dabei durch ein für den Morbi-RSA in § 34 Abs. 1 Satz 1 RSAV vorgeschriebenes Regressionsverfahren ermittelt. Mittels dieses statistischen Verfahrens wird der quantitative Zusammenhang zwischen einer oder mehreren unabhängigen Variablen und einer abhängigen Variablen ermittelt. Die Ausgaben je Versichertem bilden die abhängige Variable, während die Zuordnung der Versicherten zu den Risikogruppen die unabhängige Variable bildet. Die sich ergebenden Regressionskoeffizienten sind als Anteile an den Ausgaben eines Versicherten zu interpretieren, die der jeweiligen Risikogruppe zugerechnet werden können. Sie werden als Jahreswerte ermittelt; da aber Zuweisungen taggenau (je Versichertentag) zugewiesen werden, werden die ermittelten Regressionskoeffizienten durch 365 geteilt. Da im Regressionsverfahren jeder Versicherte unabhängig von der Dauer der Versicherung gleichwertig berücksichtigt wird, also die Ausgaben für einen Versicherten, der nur e...