Entscheidungsstichwort (Thema)

Zahlbarmachung von Rente aus Beschäftigungen in einem Ghetto. Ghetto Widze. Ghetto Swieciany. Ghetto Wilna. rentenversicherungspflichtiges Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis. Ghettoarbeit. eigener Willensentschluss. Entgeltlichkeit. Lebensmittelkarte

 

Orientierungssatz

1. Zum Vorliegen von Zeiten einer Beschäftigung in einem Ghetto iS von § 1 Abs 1 des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) vom 20.6.2002 (BGBl I 2002, 2074) (hier: Beschäftigung im Ghetto Widze in der Zeit von Juli 1941 bis Januar 1943, im Ghetto Swieciany in der Zeit von Januar 1943 bis März 1943 und im Ghetto Wilna in der Zeit von März 1943 bis August 1943).

2. Freier Unterhalt ist das Maß an Wirtschaftsgüter, das der Arbeitnehmer unmittelbar braucht, um seine notwendigen Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Bei Gewährung von Lebensmitteln ist daher zu prüfen, ob sie nach Umfang und Art des Bedarfs unmittelbar zum Gebrauch oder Verbrauch oder vorbestimmt zur beliebigen Verfügung gegeben werden (vgl LSG Essen vom 1.9.2006 - L 13 R 27/06).

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11.01.2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Altersrente unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem ZRBG wegen Beschäftigungen von Juli 1941 bis August 1943 in den Ghettos Widze, Swieciany und Wilna (Litauen).

Der 1920 geborene Kläger ist jüdischen Glaubens. Er lebt in Israel und besitzt die israelische Staatsangehörigkeit. Der Kläger ist als Verfolgter des Nationalsozialismus im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) anerkannt.

Im Verfahren nach dem BEG gab er 1966 an, er sei im Ghetto Widze im Juli 1941 bis zum Januar 1943, im Ghetto Swieciany von Januar 1943 bis März 1943 und von März 1943 bis August 1943 in Wilna inhaftiert gewesen.

Im Verfahren um eine Entschädigung nach dem Art. 2-Fonds der Claims Conference gab der Kläger im April 1995 an, er habe von 1941 bis Januar 1943 im Ghetto Widze unter menschenunwürdigen Bedingungen gelebt, als man ihn zuerst ins Ghettos Swieciany und später ins Ghetto Vilnius überführt habe. Die ganze Zeit habe er auch schwerste Zwangsarbeit geleistet.

Mit Schriftsatz vom 29.10.2002 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Regelaltersrente unter Hinweis auf die- Vorschriften des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG). Zur Begründung gab er an, er habe außerhalb verschiedener Ghettos (Ghetto Widze von Juli 1941 bis Januar 1943, Ghetto Swieciany von Januar 1943 bis März 1943 und Ghetto Wilna von März 1943 bis August 1943) gearbeitet. Im Ghetto Widze habe er in einer Werkstatt Filzstiefel angefertigt. Sie hätten Filz aus Wolle hergestellt. In den beiden anderen Ghettos habe er Wohnungen deutscher Soldaten gereinigt. Nicht auf dem Weg, aber während der Arbeit sei er von deutschen Soldaten und lokaler Polizei bewacht worden. Für die Arbeit, die ihm vom Judenrat vermittelt worden sei, habe er Lebensmittelkarten erhalten. Sie hätten gearbeitet, um nicht ins KZ geschickt zu werden. Die Fragen nach dem Erhalt von Barlohn und Sachbezügen verneinte der Kläger.

Mit Bescheid vom 15.09.2003 lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Klägers ab. Sie führte zur Begründung aus, unter Berücksichtigung der Gesamtumstände, etwa der Bewachung des Klägers während der Arbeit, habe es sich bei den behaupteten Tätigkeiten um Zwangsarbeit gehandelt.

Dagegen erhob der Kläger rechtzeitig Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.11.2004 zurückwies.

Am 02.12.2004 hat der Kläger Klage erhoben. Er habe sich in den drei Ghettos über die Verwaltung des Judenrates freiwillig verschiedene Tätigkeit als Arbeiter gesucht. Er habe für die Tätigkeit einen Lohn in Form von Sachbezügen und Lebensmittelkarten erhalten. Das empfangene Entgelt habe die geforderte Geringfügigkeitsgrenze überstiegen. Angaben über eine freiwillige Arbeitsaufnahme und Entlohnung seien im Entschädigungsverfahren nicht abgefragt worden und ohne Bedeutung gewesen. Die Entlohnung habe eine wesentliche Gegenleistung für die geleistete Arbeit dargestellt und sei von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung gewesen. Daher sei sie über den Umfang freien Unterhalt hinausgegangen.

Die Beklagte hat dem entgegengehalten, dass die Entlohnung durch Lebensmittelkarten nicht das Merkmal der Entgeltlichkeit erfülle.

Mit dem angefochtenen Urteil vom 11.01.2006 hat das Sozialgericht die auf Gewährung einer Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Beitragszeiten von Juli 1941 bis August 1943 gerichtete Klage abgewiesen.

Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass er entgeltlich im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1lit b ZRBG tätig geworden sei. Dem stehe § 1227 RVO a.F. entgegen, weil nichts dafür spreche, dass der Kläger mittels der Lebensmittelkarten Naturalien in einem Umfang...

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