Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld. Rücknahme der Leistungsbewilligung für die Vergangenheit. Erstattung. Berechnungsfehler der Behörde. Umrechnung des Bemessungsentgeltes von DM in Euro. grobe Fahrlässigkeit des Begünstigten. Beginn der Jahresfrist
Orientierungssatz
1. Grobe Fahrlässigkeit liegt gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X dann vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Der Betroffene muss einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt und deshalb dasjenige nicht beachtet haben, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (Vergleiche BSG, Urteil vom 19. Februar 1986 - 7 RAr 55/84). Es ist insoweit auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit, das Einsichtsvermögen des Begünstigten sowie die besonderen Umstände des Einzelfalles abzustellen und ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab anzulegen (Vergleiche BSG, Urteil vom 24. April.1997 - 11 RAr 89/96).
2. Es entlastet den Begünstigten nicht, Bescheide nicht zu lesen. Vielmehr besteht eine Obliegenheit Bewilligungsbescheide zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen. Der Begünstigte ist zwar nicht gehalten, zu Gunsten der Fachbehörde den Bewilligungsbescheid des Näheren auf seine Richtigkeit zu überprüfen. Grobe Fahrlässigkeit ist ihm aber dann vorzuwerfen, wenn der Fehler geradezu "in die Augen springt" (Vergleiche BSG, Urteil vom 08. Februar 2001 - B 11 AL 21/00 R).
3. Die Umstellung von DM- auf EURO-Beträge zum Jahreswechsel 2002 im Verhältnis von ungefähr 2 zu 1 war allgemein bekannt. Einem Bezieher von Arbeitslosengeld, dem die Bedeutung des Bemessungsentgeltes für die Berechnung der Leistung bekannt ist, muss das in dem Bewilligungsbescheid im Verhältnis von 1 zu 1 auf Euro-Beträge umgestellte Bemessungsentgelt sofort als fehlerhaft ins Auge springen (Vergleiche LSG Berlin, Urteil vom 20. Oktober 2004 - L 6 AL 65/03 und LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12. September 2006 - L 13 AL 1070/05).
4. Die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X beginnt erst zu laufen, wenn die Behörde Kenntnis davon hatte, dass der Leistungsempfänger die teilweise Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem die Behörde aufgrund des ermittelten Sachverhaltes Kenntnis von der Bösgläubigkeit des Leistungsempfängers hatte. Unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes ist die den Beginn der Jahresfrist bestimmende Kenntnis dann anzunehmen, wenn mangels vernünftiger, objektiv gerechtfertigter Zweifel eine hinreichend sichere Informationsgrundlage bezüglich sämtlicher für die Rücknahmeentscheidung notwendigen Tatsachen besteht (Vergleiche BSG, Urteil vom 27. Juli 2000 - B 7 AL 88/99 R -).
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 16.05.2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Umstritten ist die teilweise Rücknahme und die Erstattung von Arbeitslosengeld in Höhe von 1.716,65 EUR.
Die am 00.00.1971 geborene Klägerin ist Türkin und verfügt über einen deutschen Hauptschulabschluss. Sie spricht fließend Deutsch. Nach der Schule und einem kurzen Türkeiaufenthalt arbeitete sie zunächst als Montiererin bei O vom 27.03.1990 bis 31.05.1999. Diese Tätigkeit wurde durch zwei Erziehungszeiten unterbrochen. Ihrem Antrag auf Arbeitslosengeld vom 26.05.1999 wurde mit Bescheid vom 10.08.1999 für die Zeit ab 01.06.1999 für eine maximale Anspruchsdauer von 360 Tagen entsprochen. Bezüglich des Bemessungsentgelts, welches die Beklagte zunächst mit 480,00 DM angesetzt hatte, legte die Klägerin selbst Widerspruch ein mit dem Ziel, ein höheres Bemessungsentgelt zu berücksichtigen. Diesem Widerspruch half die Beklagte mit Bescheid vom 15.11.1999 insoweit ab, als das Bemessungsentgelt ab 20.08.1999 auf 840,00 DM festgesetzt wurde. Wegen der Zeit bis 19.08. führte die Klägerin wegen der Höhe des Bemessungsentgelts einen Rechtsstreit - Sozialgericht Dortmund S 37 (1) AL 163/99 -, der am 06.02.2001 mit einem Anerkenntnis der Beklagten endete. Die Klägerin erhielt nachträglich auch für die Zeit vom 01.06. bis 19.08.1999 Arbeitslosengeld nach einem Bemessungsentgelt von 840,00 DM.
Seit dem 07.02.2000 nahm die Klägerin an einer Bildungsmaßnahme teil, die die Ausbildung zur Reiseverkehrskauffrau zum Ziel hatte. Die Klägerin absolvierte diese bis zum 31.12.2001 dauernde Maßnahme mit Erfolg. Während der Maßnahme erhielt die Klägerin statt Arbeitslosengeld Unterhaltsgeld in Höhe des zuletzt bezogenen Arbeitslosengeldes nach einem Bemessungsentgelt von anfangs 840,00 DM und zuletzt von 940,00 DM in Höhe von zuletzt 393,54 DM wöchentlich im Dezember 2001.
Nach Beendigung der Ausbildung meldete sich die Klägerin am 03.01.2002 erneut arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Die Beklagte bewilligte ihr ab 01.01.2002 Arbeitslosengeld für eine Restanspruchsdauer von 95 Tagen nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 9...