Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankenhaus. Aufwandspauschale. Differenzierung des BSG zwischen Prüfungen der sachlich-rechnerischen Richtigkeit einerseits und der Auffälligkeiten andererseits verstößt nicht gegen verfassungsrechtliche Grenzen richterlicher Entscheidungsfindung. rückwirkende Geltung
Orientierungssatz
1. Die Rechtsprechung des 1. Senats des Bundessozialgerichts zur Differenzierung zwischen Prüfungen der sachlich rechnerischen Richtigkeit einerseits und der Auffälligkeitsprüfungen andererseits überschreitet nicht die sich aus Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 2 und 3 GG ergebenden verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Entscheidungsfindung.
2. Die vom 1. Senat des Bundessozialgerichts gefundene Differenzierung ist auch nicht wegen Verstoß gegen das Willkürverbot verfassungswidrig.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 13.09.2016 geändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 21.300 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5%-Punkten über dem Basiszins seit dem 24.12.2015 zu zahlen. Die Beklagte trägt 9/10, die Klägerin 1/10 der Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt noch die Erstattung von in 71 Krankhausbehandlungsfällen an die Beklagte gezahlten Aufwandspauschalen (§ 275 Abs. 1c S. 3 SGB V).
Die Beklagte betreibt ein nach § 108 SGB V zugelassenes Krankenhaus. Dort behandelte sie zwischen 2009 und 2015 in mindestens 143 Fällen Versicherte der Klägerin. Die Beklagte übermittelte der Klägerin für jeden Behandlungsfall eine Vergütungsrechnung nebst den erforderlichen Daten gemäß § 301 SGB V.
In jedenfalls 71 dieser Behandlungsfälle beauftragte die Klägerin anschließend den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Prüfung zu konkreten Fragestellungen.
Der MDK zeigte der Beklagten die einzelnen Prüfaufträge mit dem Hinweis an, ihm liege ein Auftrag der Krankenkasse zur Begutachtung der stationären Behandlung nach § 275 Abs. 1 SGB V vor. Für Krankenhausbehandlungen nach § 39 SGB V komme er seiner Benachrichtigungspflicht gemäß § 275 Abs. 1c SGB V nach.
Gleichzeitig mit den Prüfanzeigen oder im Nachgang dazu forderte der MDK in allen 71 Fällen (über die Informationen nach § 301 SGB V hinausgehend) konkrete Unterlagen bei der Beklagten an. Je nach Prüfbedarf handelte es sich dabei z.B. um Krankenhausentlassungsberichte, Anamnesebögen, Aufnahmebefunde, ärztliche Verlaufsdokumentationen, Pflegeverlaufsdokumentationen, Operationsberichte/Eingriffsprotokolle, Anästhesieprotokolle, Beatmungsprotokolle, Laborberichte, Befundberichte, Lagerungspläne, Fieberkurven oder Intensivkurven.
Betroffen sind im Einzelnen folgende Versicherte/Behandlungsfälle und Fragestellungen:
Im Original mit Tabelle: Name des Versicherten, Behandlungszeitraum, Datum des Prüfauftrages, Fragestellung, Datum der Prüfanzeige sowie Datum der Zahlung der Pauschale
Da die Prüfung des MDK in keinem dieser Fälle zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages führte, zahlte die Klägerin der Beklagten nach § 275 Abs. 1c S. 3 SGB V jeweils eine Aufwandspauschale i.H.v. 300 EUR. Hinsichtlich der Einzelheiten dieser Zahlungen wird auf die von den Beteiligten im Termin zur mündlichen Verhandlung am 13.12.2018 abgegebenen Erklärungen und übergebenen Buchungsunterlagen Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 11.08.2015 forderte die Klägerin von der Beklagten die in den 71 genannten und 72 weiteren Behandlungsfällen gezahlten Aufwandspauschalen mit der Begründung zurück, die Zahlungen seien unter Berücksichtigung der Urteile des Bundessozialgerichts vom 01.07.2014 - B 1 KR 29/13 R und vom 14.10.2014 - B 1 KR 26/13 R zu Unrecht erfolgt. Das Bundessozialgericht unterscheide bei den Rechnungsprüfungen des MDK zwischen Auffälligkeitsprüfungen, in denen es um die Wirtschaftlichkeit (in der Regel um Notwendigkeit und Dauer) einer stationären Krankenhausbehandlung gehe, sowie Prüfungen der sachlichen und rechnerischen Richtigkeit, in denen die Korrektheit der vom Krankenhaus übermittelten - in § 301 Abs. 1 S. 1 SGB V genannten - Daten geprüft werde, die für die Bestimmung der abzurechnenden Entgelte maßgebend seien. Das Bundessozialgericht habe entschieden, dass § 275 Abs. 1c SGB V auf sachlich-rechnerische Richtigkeitsprüfungen keine Anwendung finde; weder gelte die Prüffrist von sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der Krankenkasse noch entstehe für die Krankenkasse im Fall einer die Abrechnung bestätigenden Prüfung eine Verpflichtung zur Zahlung der Aufwandspauschale von 300 EUR. Die vom Bundessozialgericht aufgestellten Grundsätze seien auch rückwirkend von Bedeutung. In den 143 Fällen habe der MDK lediglich eine Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit vorgenommen. Die Aufwandspauschalen seien daher in diesen Fällen zu Unrecht gezahlt worden und von der Beklagten bis zum 15.09.2015 zu erstatten.
Die Beklagte lehnte die Erstattung ab. Sie vertrat die Auf...