Entscheidungsstichwort (Thema)
Beginn des Unfallversicherungsschutzes gem. § 539 Abs 1 Nr 1 RVO. Aufnahme der tatsächlichen Arbeit. Besorgung einer Arbeitserlaubnis
Orientierungssatz
1. Für den Beginn der Versicherung gem § 539 Abs 1 Nr 1 RVO kommt es nicht auf den Abschluss des Arbeitsvertrages an. Maßgebend auch für den Beginn des Arbeits- oder Dienstverhältnisses sind vielmehr die Aufnahme der tatsächlichen Arbeit durch den Arbeitnehmer und die Herstellung der Verfügungsgewalt des Arbeitgebers über den Arbeitnehmer. Auch in den Fällen, in denen das Arbeits- oder Dienstverhältnis schon vor Aufnahme der tatsächlichen Arbeit beginnt, weil auf der Seite des Arbeitnehmers Dienstbereitschaft und auf der Seite des Arbeitgebers Verfügungsgewalt über den Arbeitnehmer bestehen, erlangt der Versicherungsschutz in der Unfallversicherung erst Bedeutung mit der Aufnahme der versicherten Tätigkeit. Insoweit besteht für den Bereich des Unfallversicherungsrechts eine Abweichung vom Arbeitsrecht, in dem nicht die Eingliederungs-, sondern die Vertragstheorie herrschend ist.
2. Die Besorgung einer Arbeitserlaubnis und die damit zusammenhängenden Wege sind grundsätzlich dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger am 06.06.1994 einen Arbeitsunfall erlitten hat und er deswegen Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung beanspruchen kann.
Der 1961 geborene bosnische Kläger verunglückte am Montag, dem 06.06.1994, gegen 6.25 Uhr als Mitfahrer in dem von Herrn M M gesteuerten und auf diesen zugelassenen PKW -- amtliches Kennzeichen: ... --, in dem sich auch Herr I K befand, in der Nähe von F/Main auf der Bundesautobahn (BAB) 3 in Fahrtrichtung K, als das Fahrzeug in einen Verkehrsunfall verwickelt wurde. Die Fahrt war von A, dem Wohnsitz der bei der Firma (Fa.) I Bau-GmbH in M beschäftigten Herren M und K, aus angetreten worden.
Bei diesem Unfall zog sich der seinerzeit mit Wohnsitz in K gemeldete Kläger einen Bruch des 2. Lendenwirbelkörpers, eine Gehirnerschütterung und einen Nasenbeinbruch zu, die eine stationäre Behandlung bis zum 21.07.1994 in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik F/Main erforderlich machten.
Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 21.02.1995 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung und gab an, er sei bis zum 15.01.1994 bei der Fa. I GmbH in K beschäftigt gewesen. Zwischen dem 15.01. und dem 05.06.1994 sei er nicht berufstätig und auch nicht arbeitslos gemeldet gewesen. Durch einen Bekannten habe er Kontakt mit der Fa. I Bau-GmbH in M bekommen. Diese Fa. habe ihm einen sofortigen Beschäftigungsbeginn zugesagt, wenn er die entsprechende Arbeitserlaubnis des Arbeitsamtes habe. Der Antrag auf Arbeitserlaubnis sei von der Fa. I ausgefüllt worden. Er sei auf dem Weg zum Arbeitsamt in M gewesen, um dort den entsprechenden Antrag auf Arbeitserlaubnis zu stellen und dann die Tätigkeit zu beginnen. Auf dem Weg zum Arbeitsamt habe er dann den Unfall erlitten. Der Kläger legte eine Bescheinigung der Fa. I Bau-GmbH vom 10.02.1995 vor, in der deren Inhaber R I erklärte, er sei mit einer Beschäftigung des Klägers einverstanden gewesen, nachdem er ihm "die Arbeitserlaubnis ausgefüllt und beglaubigt" gehabt habe. Der Kläger sowie die Herren M und K hätten am 06.06.1994 das Arbeitsamt in M aufsuchen wollen, um die Papiere abzugeben.
Auch nach Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit nahm der Kläger nicht bei der Fa. I, sondern ab dem 15.10.1994 wieder bei der Fa. I, Niederlassung K, Arbeit auf.
Nach schriftlicher Befragung des Klägers und Beiziehung der den Verkehrsunfall vom 06.06.1994 betreffenden Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft F/Main lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 05.09.1995 die Anerkennung des Ereignisses vom 06.06.1994 als Wegeunfall und die Gewährung von Entschädigungsleistungen ab. Zur Begründung führte sie u.a. aus, zum Zeitpunkt des Unfalls habe noch kein Arbeitsverhältnis bei der Fa. I Bau-GmbH bestanden. Verrichtungen und Wege, die mit dem Abschluss eines Arbeitsvertrages zusammenhingen, seien grundsätzlich dem eigenwirtschaftlichen Bereich des Arbeitsuchenden zuzurechnen. Dazu gehöre auch das Besorgen einer Arbeits- oder Aufenthaltserlaubnis. Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung habe somit nicht bestanden.
Im anschließenden Widerspruchsverfahren trug der Kläger vor, das Arbeitsverhältnis bei der Fa. I Bau-GmbH sei unter der Bedingung der Erteilung der Arbeitserlaubnis bereits geschlossen gewesen. Diese Bedingung sei eine reine Formalie gewesen, da das Unternehmen bereits aus parallelen Fällen gewusst habe, dass dem neu einzustellenden Mitarbeiter die Arbeitserlaubnis erteilt werde. Für den Arbeitsvertrag sei von Bedeutung, dass der Arbeitgeber und er -- der Kläger -- sich über seine Beschäftigung zu den ausgehandelten Bedingungen einig gewesen seien und dass das Beschäftigungsverhältnis am Unf...