Entscheidungsstichwort (Thema)

Rentenversicherungspflichtiges Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis. Ghettoarbeit. Ghetto Tomaszow-Mazowiecki. Zahlbarmachung von Ghettorenten. eigener Willensentschluss. Glaubhaftmachung

 

Orientierungssatz

1. § 1 Abs 1 S 1 ZRBG, der die Ausübung einer aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen Beschäftigung gegen Entgelt verlangt, knüpft entgegen der Auffassung des 4. Senats des BSG in seiner Entscheidung vom 14.12.2006 - B 4 R 29/06 R = SozR 4-5075 § 1 Nr 3 - an die von der Rechtsprechung des BSG aufgestellten Kriterien der Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit für eine versicherungspflichtige Beschäftigung in einem Ghetto an und setzt ein rentenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis voraus (vgl BSG vom 7.10.2004 - B 13 RJ 59/03 R = BSGE 93, 214 = SozR 4-5050 § 15 Nr 1, BSG vom 3.5.2005 - B 13 RJ 34/04 R = BSGE 94, 294 = SozR 4-2600 § 306 Nr 1, BSG vom 20.7.2005 - B 13 RJ 37/04 R, BSG vom 5.9.2006 - B 5 R 16/07 B, BSG vom 8.2.2007 - B 5 R 182/06 B und BSG vom 14.8.2006 - B 5 RJ 246/05 B).

2. Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache - hier eine behauptete Beschäftigung im Ghetto Tomaszow-Mazowiecki in der Zeit von Dezember 1940 bis November 1942, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist (vgl § 4 Abs 1 FRG, § 3 Abs 1 WGSVG). Glaubhaftmachung bedeutet danach mehr als das Vorhandensein einer bloßen Möglichkeit, aber auch weniger als die an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Es genügt die "gute Möglichkeit", dass der entscheidungserhebliche Vorgang sich so zugetragen hat, wie behauptet wird. Es muss also mehr für als gegen den behaupteten Sachverhalt sprechen. Dabei sind gewisse noch verbleibende Zweifel unschädlich (vgl BSG vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B = SozR 3-3900 § 15 Nr 4).

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 12.10.2007 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Kosten haben die Beteiligten einander in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten Regelaltersrente. Streitig ist dabei insbesondere, ob Arbeitszeiten im Ghetto Tomaszow-Mazowiecki, im damaligen Generalgouvernement, von Dezember 1940 bis November 1942 als glaubhaft gemachte Beitragszeiten auf die allgemeine Wartezeit anzurechnen sind.

Der ... 1919 in T/Polen geborene Kläger ist jüdischer Abstammung und anerkannter Verfolgter im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG). Im Jahr 1949 wanderte er nach Israel aus und erwarb die israelische Staatsangehörigkeit. Er trug damals noch den Namen M M A.

Anlässlich eines von dem Kläger im November 1954 eingeleiteten Entschädigungsverfahrens wurde ihm wegen eines Freiheitsschadens für die Zeit vom 01.12.1939 bis zum 08.05.1945 eine Entschädigung gewährt (Bescheid des Bezirksamts für Wiedergutmachung K vom 15.01.1960). Im Antragsformular vom 21.02.1954 gab der Kläger an, im Jahr 1939 in Tomaszow-Mazowiecki inhaftiert worden zu sein. Ferner gab er an: "Zw Arb. Weimar" von 1939, "Krakau" von 1940, "Gh Tomaszow-Mazowiecki" von 12.1940, "Krakau" von 8/1942. In einem Formularschreiben vom 09.06.1956 gab der Bevollmächtigte des Klägers an, der Kläger habe sich von Oktober 1940 bis "H. 1942" im Ghetto Tomaszow aufgehalten. In einer eidlichen Erklärung vom 09.01.1956 berichtete der Kläger, vor den Verfolgungsmaßnahmen in T gelebt zu haben und Schneider gewesen zu sein. Im Oktober 1939 sei er in das Zwangsarbeitslager (ZAL) Lublin gekommen, habe dort im Pferdestall gewohnt und bei Bauarbeiten gearbeitet. Er sei täglich unter Bewachung von der SS von und zur Zwangsarbeit geführt worden. Das Lager sei mit Stacheldraht umzäunt und von der SS bewacht gewesen. Er habe eine Armbinde mit Judenstern getragen. Im Oktober 1940 sei er in das Ghetto Tomaszow gekommen, welches Anfang 1941 umzäunt worden sei. Er habe weiter auf der P Str. 11 gewohnt, auf der er bereits vor dem Kriege gewohnt habe; diese sei in den Ghettobezirk gefallen. Er habe außerhalb des Ghettos in einer ehemaligen Schule auf der P Str. gearbeitet. In der Schule seien Offiziere einquartiert gewesen und er sei täglich unter Bewachung zur Betreuung der Pferde dieser Offiziere geführt worden. Es habe sich um eine Gruppe von sieben Mann gehandelt, die diese Arbeiten hätten verrichten müssen. Weiterhin führte der Kläger aus: "Wir wurden täglich zusammen von und zur Zwangsarbeit unter Bewachung geführt". Der Judenratälteste habe W-S geheißen. Sie hätten eine Armbinde mit Judenstern getragen. Bei der Liquidierung des Ghettos Tomaszow im Herbst 1942 seien sie für kurze Zeit bei den Wehrmachtsoffizieren zur Betreuung deren Pferde verblieben. Dann seien sie nach Krakau versetzt worden (die Offiziere) und hätten die Arbeiter zur weiteren Betreuung der Pferde mitgenommen. Im weiteren Verlauf sei er u. a. in das KZ Buchenwald überstellt und von dort in das Ghetto Theresienstadt gebracht worden, wo er befreit...

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