Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosenhilfeanspruch. Anwartschaft. beitragspflichtige Beschäftigung. Strafgefangener. Begrenzung auf Zeiten des Leistungsbezugs nach StVollzG. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Es ist nicht verfassungswidrig, dass nur derjenige Strafgefangene nach § 168 Abs 3a AFG idF vom 20.12.1988 in der Arbeitslosenversicherung Beitragszeiten zurücklegen kann, der Leistungen nach den §§ 43-45, 176, 177 StVollzG erhält.
2. Die Entscheidung über die Beitragspflicht Gefangener ist dem Gesetzgeber vorbehalten (vgl BSG vom 9.12.1986 - 8 RK 9/85 = SozR 2200 § 216 Nr 9 = BSGE 61, 62 und vom 16.10.1990 - 11 RAr 3/90 = SozR 3-4100 § 103 Nr 2 = BSGE 67, 269).
3. Der Rechtszustand, dass der Schutz der Gefangenen in den sozialen Sicherungssystemen bis heute bruchstückhaft geblieben ist, ist auch nicht unter Berufung auf den Gleichheitssatz zu beseitigen (vgl BSG vom 6.11.1997 - 11 RAr 33/97 = SozR 3-4100 § 168 Nr 21 = BSGE 81, 162 und vom 26.5.1988 - 5/5b RJ 20/87 = SozR 2200 § 1246 Nr 157).
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Arbeitslosenhilfe (Alhi).
Der Kläger meldete sich am 01.02.1990 arbeitslos und beantragte Alhi. In der vorhergehenden Zeit war er arbeitslos und befand sich vom 11.07.1989 bis 30.01.1990 in Haft. Dort war ihm vom 21. bis 27.07., 31.07. bis 08.09., 19.09. bis 26.09., am 02.10.1989 sowie vom 19.01. bis 26.01.1990 eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt nach § 43 Strafvollzugsgesetz (StVollzG) zugewiesen worden. Die Beschäftigung unterlag der Beitragspflicht nach § 168 Abs. 3 a aF Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Die Beklagte vermerkte anlässlich der Arbeitslosmeldung, dass kein Leistungsanspruch bestehe, weil der Kläger keine 150 Tage beitragspflichtiger Beschäftigung zurückgelegt habe.
Er führte in der Folgezeit von 1991 bis September 1995 einen Rechtsstreit gegen das Land Nordrhein-Westfalen, mit dem er begehrte, dass dieses eine Ausfallentschädigung für die Zeit seiner Inhaftierung vom 11.07.1989 bis 30.01.1990 zu zahlen und Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu entrichten habe. Er vertrat die Auffassung, es sei verfassungswidrig und verstoße gegen den Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG), dass einerseits bei Strafgefangenen, denen aus nicht in ihrer Person liegenden Gründen keine Arbeit zugewiesen werde, und andererseits solchen, die beschäftigt würden, keine ausreichenden Gründe für eine unterschiedliche beitragsrechtliche Behandlung beständen, die sich auf den Erwerb von Leistungsansprüchen auswirke. Das Begehren blieb in letzter Instanz erfolglos (Urteil des Bundessozialgerichts vom 11.09.1995 - 12 RK 9/95).
Der Kläger beantragte daraufhin mit Schreiben vom 15.11.1995 die "Wiederaufnahme" seines Antrags auf Alhi vom 01.02.1990. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 23.05.1996 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 05.06.1996, beide in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03.09.1996 ab. Sie führte aus, der Kläger habe in der einjährigen Vorfrist vom 01.02.1989 bis 31.01.1990 während der Haft lediglich 72 Kalendertage beitragspflichtiger Beschäftigung zurückgelegt. Für die übrige Zeit habe er keine Beschäftigungen nachgewiesen, so dass er 150 Kalendertage nicht erfüllt habe.
Hiergegen richtet sich die am 10.09.1996 erhobene Klage. Der Kläger ist zu deren Begründung bei seiner Auffassung verblieben, die er bereits während des Rechtsstreits gegen das Land Nordrhein-Westfalen vertreten hatte.
Er hat beantragt,
die Bescheide vom 23.05.1996 und 05.06.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.09.1996 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, aufgrund des Antrages vom 01.02.1990 Arbeitslosenhilfe nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen, hilfsweise, den Rechtsstreit gemäß Art. 100 GG dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die angefochtenen Bescheide für Rechtens gehalten.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 08.05.1998 die Klage abgewiesen. Es hat sich der Auffassung der Beklagten angeschlossen, dass der Kläger innerhalb der Vorfrist von einem Jahr keine 150 Kalendertage in einer beitragspflichtigen Beschäftigung gestanden oder gleichgestellte Zeiten zurückgelegt habe (§ 134 Abs. 1 Nr. 4 AFG). Es verstoße auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, dass nur die Strafgefangenen während der Haft Beitragszeiten zurücklegen könnten, die Arbeitsentgelt nach § 43 StVollzG erhielten. Es sei nämlich nicht willkürlich, den Erwerb von Leistungsansprüchen an die Erbringung einer tatsächlichen Arbeitsleistung zu knüpfen.
Gegen das am 28.05.1998 zugestellte Urteil richtet sich die am 03.06.1998 eingelegte Berufung. Der Kläger verbleibt zu deren Begründung bei seiner bisherigen Auffassung.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 08.05.1998 zu ändern und nach dem Klageantrag erster Instanz zu erkenne...