Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Bestattungskosten. örtliche Zuständigkeit. Bestattungspflicht. Nordrhein-Westfalen. Tot- oder Fehlgeburten
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Entscheidung über einen Anspruch nach § 74 SGB XII ist bei Bestattung einer Tot- oder Fehlgeburt in entsprechender Anwendung von § 98 Abs 3 Alt 2 SGB XII der Sozialhilfeträger des Ortes der Tot- oder Fehlgeburt zuständig.
2. Das Bestattungsrecht in Nordrhein-Westfalen (BestG NRW - juris: BestattG NW) gibt Eltern von Tot- oder Fehlgeburten zwar ein Bestattungsrecht. Üben sie dieses Recht aus, ist dies jedoch nicht gleichbedeutend mit einer Verpflichtung zur Bestattung iS von § 74 SGB XII. Ein Anspruch auf Übernahme der Bestattungskosten aus § 74 SGB XII besteht in solchen Fällen nicht.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 17.03.2016 geändert und die Klage abgewiesen. Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die sozialhilfeweise Übernahme von Bestattungskosten für ein als Fehlgeburt geborenes Kind der Kläger.
Die 1991 geborene Klägerin ist deutsche Staatsangehörige. Der 1985 geborene Kläger ist serbischer Staatsangehöriger; im Jahr 2013 war er im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis (als Vater deutscher Kinder; § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 S. 2 AufenthG) mit einer Gültigkeit bis zum 29.10.2015. Die Kläger sind nicht verheiratet. Sie sind die Eltern der am 00.00.2013 in der 21. Schwangerschaftswoche im T-Klinikum S als Fehlgeburt (270g, 14 cm) entbundenen C (im Folgenden: Tochter). Sie haben drei weitere Kinder (geb. 2009, 2013 und 2017).
Am 29.10.2013 beantragten die Kläger bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für die - am 22.10.2013 erfolgte - Bestattung ihrer Tochter. Sie gaben an, neben Leistungen nach dem SGB II, Elterngeld sowie Kindergeld kein Einkommen oder Vermögen zu haben. Für Ihre Wohnung fielen monatliche Kosten i.H.v. insgesamt 440,00 EUR an. Ausweislich ihrer Kontoauszüge bezogen die Kläger bis einschließlich Januar 2014 und sodann wieder ab April 2014 Leistungen nach dem SGB II. Darüber hinaus erzielte der Kläger Einkünfte aus Erwerbseinkommen in unterschiedlicher Höhe (jeweils netto November 2013: 160,00 EUR; Dezember 2013: 1.454,27 EUR; Januar 2014:
1.508,18 EUR; Februar 2014: 1.436,18 EUR; März 2014: 1.484,18 EUR; April 2014: 1.453,38 EUR). Darin enthalten war ein monatlich veränderlicher Betrag an Spesen. Wann das jeweilige Monatseinkommen zur Auszahlung (in bar) gelangte, ist nicht bekannt. Ob dem Kläger für die Erzielung des Einkommens notwendige Ausgaben entstanden sowie ob und ggf. in welcher Höhe während seiner Tätigkeit Verpflegungsmehraufwendungen angefallen sind, konnte er nicht mehr angeben. Zudem erhielt er ab Dezember 2013 (bis mindestens April 2014) Einstiegsgeld i.H.v. 291,10 EUR monatlich, welches unter Einschluss einer Nachzahlung für Dezember 2013 erstmals im Januar 2014 ausgezahlt wurde. Das der Klägerin seit der Geburt eines Kindes am 25.03.2013 monatlich gezahlte Elterngeld i.H.v. 300,00 EUR wurde letztmals am 28.02.2014 ausgezahlt. Zudem erhielten die Kläger monatliches Kindergeld i.H.v. 368,00 EUR.
Für die Bestattung der Tochter waren insgesamt Kosten i.H.v. 1.567,00 EUR entstanden. An Gebühren fielen 783,00 EUR an (Bescheid der Stadt S vom 22.10.2013 für Erdbestattung im Reihengrab für muslimische Verstorbene bis zum fünften Lebensjahr; fällig am 22.11.2013). Der Bestatter berechnete 784,00 EUR (Rechnung vom 07.11.2013: Kindersarg 309,00 EUR, Tücher 25,00 EUR, Überführung zum Kühlraum mit Bahre/Nutzung des Kühlraums 205,00 EUR, Überführung zum Friedhof 115,00 EUR, Anmeldung und Besorgung 130,00 EUR; ohne Fälligkeitsbestimmung). Sowohl die Gebührenforderung als auch die Bestatterrechnung sind bislang nicht beglichen worden.
Mit Bescheid vom 15.11.2013 lehnte die Beklagte den Antrag der Kläger ab. Die Kläger seien rechtlich nicht verpflichtet gewesen, die Bestattung durchzuführen und die Bestattungskosten zu tragen, weil es sich um eine Fehlgeburt gehandelt habe.
Die Kläger legten Widerspruch ein. Die Bundesregierung habe auf Anfrage einer Abgeordneten ausgeführt, die erforderlichen Kosten einer Bestattung würden durch den zuständigen Sozialhilfeträger übernommen, soweit nach dem Ordnungsrecht des jeweiligen Landes ein Bestattungsanspruch für eine Fehlgeburt bestehe (BT-Drs. 16/6486). Der Rechtsanspruch auf Bestattung werde ad absurdum geführt, wenn nur Bemittelte davon Gebrauch machen könnten. Dies stelle eine Ungleichbehandlung dar und missachte zudem den grundgesetzlichen Schutz der Familie und der Menschenwürde. Zu beachten sei auch, dass es der muslimische Glaube der Kläger verbiete, ihre Tochter gemeinsam mit den Kindern Andersgläubiger bestatten zu lassen.
Nachdem die Kläger am 03.03.2014 Untätigkeitsklage erhoben hatten, wies die Beklagte den Widerspruch der Kläger mit Widerspruchsbescheid vom 03.04.2014 zurück. Eine erbrechtliche Verpflichtung der Eltern zur Bestattung...