Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Leistungspflicht. Arzneimittel. Verkehrsfähigkeit. Rechtmäßigkeit eines Regresses wegen unzulässiger Arzneimittelverordnung. Vertrauensschutz. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
Orientierungssatz
1. Die auf der bloßen Inanspruchnahme einer verfahrensrechtlichen Position beruhende Verkehrsfähigkeit des Fertigarzneimittels "Wobe Mugos E" reicht nicht aus, um einen Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln nach dem SGB 5 zu begründen (vgl BSG vom 27.9.2005 - B 1 KR 6/04 R = SozR 4-2500 § 31 Nr 3). Auch die Grundsätze des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 führen zu keiner anderen Beurteilung.
2. Im Recht der Wirtschaftlichkeitsprüfung kommt es auf die Vorwerfbarkeit für die festgestellte unwirtschaftliche Behandlungsweise nicht an. Selbst eine "im guten Glauben" vorgenommene Verordnung kann daher zu Ersatzansprüchen gegen des Arzt führen (vgl BSG vom 14.3.2001 - B 6 KA 19/00 R = SozR 3-2500 § 106 Nr 52).
3. Eine unklare Rechtslage bei der Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels ist von vornherein nicht geeignet, Vertrauensschutz zugunsten des verordnenden Arztes zu begründen, da sie ihm nicht die Gewissheit von der Rechtmäßigkeit seines Handelns vermitteln kann.
4. § 106 Abs 5 S 2 SGB 5 fordert weder, dass einem Regress eine Beratung vorangehen muss (vgl BSG vom 21.5.2003 - B 6 KA 32/02 R = SozR 4-2500 § 106 Nr 1), noch lässt sich der Vorschrift entnehmen, dass die Prüfgremien in jedem Fall darlegen müssen, dass sie eine Beratung als Sanktion in Erwägung gezogen haben.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 21.05.2007 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Regresses wegen unzulässiger Arzneimittelverordnungen. Der Kläger nimmt als Arzt für Innere Medizin an der vertragsärztlichen Versorgung teil. In den Quartalen IV/2002 und I/2003 verordnete er mehrfach für eine bei der Beigeladenen zu 2) versicherte Patientin das Fertigarzneimittel W wegen eines metastasierten Karzinoms.
Das verordnete Präparat befand sich auf Grund einer im Juni 1978 erstatteten Anzeige bei dem damals zuständigen Bundesgesundheitsamt auf dem Markt; die Anzeige erfolgte für eine rektale Anwendungsform. Im Verlängerungsantrag des neuen Herstellers im Dezember 1989 wurde eine orale Darreichungsform angegeben. Das nunmehr zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) lehnte den Verlängerungsantrag mit Bescheid vom 09.06.1998 ab, weil auf Grund des Wechsels der Darreichungsform zwischen dem 1978 angezeigten und dem zur Nachzulassung anstehenden Arzneimittel keine Identität bestehe. Die Klage des Herstellers war in allen Instanzen erfolglos (zuletzt OVG Berlin, Urteil vom 07.05.2005 - 5 B 8.03). Mangels Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheides vom 09.06.1978 hatte die Klage aufschiebende Wirkung. Der Hersteller hat das Mittel zum 01.09.2005 aus dem Verkehr genommen.
Auf Prüfanträge der Beigeladenen zu 2) setzte der Prüfungsausschuss mit Beschluss vom 08.06.2004 einen Regress in Höhe von insgesamt 1.276,50 Euro zu Gunsten der Beigeladenen zu 2) fest. Zur Begründung führte er aus, spätestens seit der Ablehnung der Verlängerung der Zulassung am 09.06.1998 sei W nicht mehr verkehrsfähig und dürfe somit im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung nicht mehr verordnet werden. Durch die Klage gegen den Bescheid und die daraus folgende aufschiebende Wirkung werde eine sozialrechtliche Verordnungsfähigkeit weder erhalten noch hergestellt. In der Ablehnungsentscheidung des BfArM spiegele sich der Zweifel an der Unbedenklichkeit und/oder dem ausreichenden Beleg der therapeutischen Wirksamkeit wider. Das Arzneimittel entspreche damit nicht der Mindestanforderung des Wirtschaftlichkeitsgebotes. Der Kläger wandte mit seinem Widerspruch ein, das Arzneimittel sei von einer onkologischen Fachklinik verordnet und von ihm in den betreffenden Quartalen weiter verordnet worden. Einschränkungen der Zulassung seien für ihn nicht ersichtlich, das Präparat werde auch nicht auf der "Negativliste" geführt und sei für die zugelassene Indikation verordnet worden. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Beschluss vom 07.12.2005 zurück. Er wiederholte im Wesentlichen die Ausführungen des Prüfungsausschusses und wies ergänzend auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 27.09.2005 (SozR 4-2005 § 31 Nr. 3) hin. Das BSG habe entschieden, dass zwar Wobe Mugos E auf Grund der aufschiebenden Wirkung der verwaltungsgerichtlichen Klage arzneimittelrechtlich verkehrsfähig gewesen sei, diese auf der bloßen Inanspruchnahme einer verfahrensrechtlichen Position beruhende Verkehrsfähigkeit aber nicht ausreiche, um die Leistungspflicht innerhalb der GKV zu begründen, weil es an der positiven Bewertung von Qualität und Wirksamk...