Entscheidungsstichwort (Thema)
Arzneimittelregress gegenüber dem Vertragsarzt wegen Überschreitung der Arzneimittel-Richtgrößen
Orientierungssatz
1. Hinsichtlich des Nachweises der vom Vertragsarzt tatsächlich veranlassten Verordnungskosten liegt dem für Richtgrößenprüfungen vorgeschriebenen gesetzlichen Konzept das einheitlich ausgestaltete Modell einer elektronischen Erfassung, Übermittlung und arztbezogenen Zusammenfassung der veranlassten Verordnungskosten zugrunde. Den hiernach für den einzelnen Vertragsarzt erfassten Verordnungsdaten kommt die Vermutung ihrer Richtigkeit zu.
2. Will der Vertragsarzt diesen Anscheinsbeweis erschüttern, so hat er sie durch konkrete Tatsachen zu widerlegen.
3. Macht der Vertragsarzt hierzu das Bestehen einer Praxisbesonderheit geltend, so hat er darzulegen, aufgrund welcher besonderen, der Art und der Anzahl nach von der Typik in der Arztgruppe abweichenden Erkrankungen, er welche Arzneitherapien mit welchen Mehrkosten je Behandlungsfall veranlasst hat.
4. Im Rahmen eines Prüfverfahrens ist nach § 298 SGB 5 die versicherungsbezogene Übermittlung von Angaben über verordnete Leistungen zulässig. Die Vorschrift erlaubt die Übermittlung von konkreten Einzelangaben über Versicherte im Rahmen eines Prüfverfahrens und stellt für den Vertragsarzt eine wirksame Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht dar.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 30.06.2010 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin, die als praktische Ärztin in F zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist, wendet sich gegen Arzneimittelregresse wegen Überschreitung der Arzneimittel-Richtgrößen im Jahr 2006.
Im Februar 2008 teilte die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen Nordrhein (Prüfungsstelle) der Klägerin mit, dass sie die Wirtschaftlichkeit ihrer Verordnungsweise von Arzneimitteln nach Richtgrößen im Jahr 2006 von Amts wegen prüfe die Klägerin Gelegenheit habe, Praxisbesonderheiten darzulegen, die noch nicht durch die Symbolziffern der Richtgrößen-Vereinbarung erfasst seien. Zu diesem Zweck übersandte die Prüfungsstelle die Prüfunterlagen auf einer CD-ROM: die Quartals-Bilanz IV/2006, die Arzneimittelstatistik-Praxisbesonderheiten 2006, die WP 05-Liste (Indikationen nach ATC 2006), die WP 08-Liste (Verordnete Arzneimittel 2006), die WP 09-Liste (Arzneipatiententabelle 2006) sowie eine Erläuterung der Prüfunterlagen. Die Klägerin reagierte darauf nicht.
Mit Bescheid vom 07.10.2008 setzte die Prüfungsstelle wegen Überschreitung der Arzneimittel-Richtgrößen in den Quartale I/2006 bis IV/2006 einen Regress in Höhe von (i.H.v.) insgesamt 82.881,31 EUR fest. Diesem Bescheid widersprach die Klägerin. Sie habe weder durch Beschwerden der Krankenkassen noch durch Hinweise der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) - der Beigeladenen zu 7) - von Überschreitungen der Richtwerte gewusst. Da Fachärzte nur langfristig auf Termin arbeiteten und teilweise auch dann keine Rezepte ausstellten, sei es ihre Pflicht gewesen, in akuten Fällen mit Medikamenten ihren Patienten zu helfen. Hauptsächlich seien dies Schmerz-, Neuroleptika-, Cholesterin- und Blutdrucktabletten gewesen. Anderenfalls hätte sie einen Großteil ihrer Patienten umgehend in die Notaufnahme bzw. in ein Krankenhaus einweisen müssen. Durch ihr Handeln habe sie den Krankenkassen Kosten in Höhe von mehreren 100.000 EUR erspart. Zur Stützung ihres Vorbringens legte die Klägerin eine Liste mit Patientennamen, jeweiligem Geburtsdatum und zuständiger Krankenkasse sowie eine (teilweise sich überschneidende) Patientenliste unter Angabe von Namen, Alter und Diagnosen vor. Dabei handle es sich um Patienten, die einen Mehrbedarf an Medikamenten, Verbänden und Hausbesuchen erfordert hätten.
Mit Bescheid vom 18.12.2008 (Sitzung vom 02.12.2008) reduzierte der Beklagte den Regress auf 7.826,42 EUR. Ausgehend von der Zuordnung der Klägerin zur Fachgruppe der Allgemeinmediziner/praktischen Ärzte nach Anlage B der Richtgrößen-Vereinbarung (RgV) 2006 ermittelte der Beklagte für die Praxis der Klägerin in den einzelnen Quartalen Abweichungen gegenüber der Vergleichsgruppe bei den Rentnern von 23,86 %, -13,73 %, -16,67 % und -14,48 %, bei den Notfällen von -100 %, 19,31 %, -9,96 % und -100 % sowie bei den Überweisungen von 293,86 %, -44,85 %, -32,50 % und -17,71 %. Die Sprechstundenbedarfs-(SSB-)Statistik ergebe in den Quartalen I, III und IV/2006 Überschreitungen von 135 %, 161,61 % und 119,63 % und die Quartalsbilanzen-Heilmittel wiesen unter Außerachtlassung von Überweisungen zu Auftragsleistungen und Konsiliaruntersuchungen Abweichungen zur Richtgrößensumme von durchschnittlich 41,01 % auf. Bei den Arzneiverordnungskosten ermittelte der Beklagte in der Summe von Allgemeinversicherten (AV) und Rentnern (RV) im Jahre 2006 eine Abweichung zur Richtgrößensumme (255.338,64 EUR) von 88,18 % (+225.158,76 EUR). Zugunsten der Klägerin zog der Beklag...