Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. Analogleistung. Vorbezugszeit. Unterbrechung durch Strafhaft. kein Verfallen der bis zum Haftantritt zurückgelegten Vorbezugszeiten. rückwirkende Erbringung von Analogleistungen anstelle von Grundleistungen aufgrund eines Überprüfungsantrags. Abstellen auf den tatsächlichen Bezug von Grundleistungen. Berücksichtigung als Vorbezugszeit
Leitsatz (amtlich)
1. Die Verbüßung einer Freiheitsstrafe bildet für die Vorbezugszeit des § 2 Abs 1 AsylbLG keine leistungsschädliche Zäsur. Die Vorbezugszeit beginnt im Anschluss an die Strafhaft nicht erneut zu laufen.
2. Für den Vorbezug von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG als Voraussetzung von Analogleistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG ist der ursprüngliche Leistungsbezug maßgebend. Werden diese Vorleistungen erst nachträglich nach § 44 SGB 10 geändert (zB nachträglich Analogleistungen statt ursprünglich Grundleistungen, aber auch nachträglich Grundleistungen statt ursprünglich gekürzte Leistungen nach § 1a AsylbLG), wirkt sich das auf die Vorbezugszeit nicht mehr aus.
Tenor
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Rechtszüge. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Im Streit steht ein Anspruch des Klägers auf sog. Analogleistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) anstelle der ihm gewährten Grundleistungen nach § 3 AsylbLG für die Zeit vom 01.12.2009 bis zum 30.09.2010.
Der Kläger wurde am 00.00.1991 als drittes von sechs Kindern seiner aus dem ehemaligen Jugoslawien stammenden Eltern in L geboren. Er besitzt - ebenso wie seine Eltern - die serbische Staatsangehörigkeit. Sein Vater und die zwei ältesten Geschwister (T und P) hielten sich schon vor der Geburt des Klägers im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Beklagten auf und beantragten am 31.01.1990 Asyl. Mit Bescheid der Landesstelle für Aussiedler, Zuwanderer und ausländische Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen (Landesstelle) vom 17.04.1990 wurden sie dem Land Bayern zugewiesen. Das Asylverfahren endete durch Rücknahme des Asylantrages im Oktober 1991. Danach verblieb der Kläger mit seiner Familie zunächst weiter im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Beklagten. Ende 1997 wurde die Familie unter Androhung der Abschiebung bis zum 31.01.1998 zur Ausreise aufgefordert. Sie kam dieser Aufforderung nach, kehrte jedoch kurze Zeit später in das Bundesgebiet zurück. Der Kläger und die übrigen Familienangehörigen hielten sich anschließend durchgehend im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Beklagten auf, ohne einen erneuten Asylantrag zu stellen.
Die Ausländerbehörde der Beklagten erteilte dem Kläger Duldungen gemäß § 55 Abs. 2 Ausländergesetz (AuslG) bzw. § 60a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) insbesondere für die Zeit vom 03.03.2004 bis 13.09.2004, vom 15.11.2004 bis 05.02.2008 und vom 04.02.2009 bis 27.05.2010. Die Beklagte gewährte dem Kläger in der Zeit vom 07.01.2002 bis 31.08.2004 und vom 01.02.2005 bis 23.08.2007 (5 Jahre, 2 Monate und 18 Tage) Grundleistungen nach § 3 AsylbLG. Die vorübergehende Leistungseinstellung begründete sie mit Zweifeln an seiner Hilfebedürftigkeit wegen "Einkünften aus Bettelei".
Am 15.07.2007 heiratete der Kläger nach Romatradition seine am 10.06.1992 in Sarajevo geborene Lebensgefährtin B I. Aus der Verbindung gingen zwei am 08.01.2010 und am 01.02.2011 geborene Kinder hervor. Die Lebensgefährtin, die sich seit 2001 in der Bundesrepublik aufhielt, war aufenthaltsrechtlich ebenfalls geduldet und erhielt Leistungen nach dem AsylbLG.
Der Kläger wurde in der Vergangenheit wiederholt straffällig und wegen diverser Vermögensdelikte rechtskräftig verurteilt. Vom 02.08.2007 bis zum 06.02.2009 verbüßte er eine Jugendhaftstrafe wegen Diebstahls; der Rest der insgesamt zweieinhalbjährigen Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Nach der Haftentlassung zog der Kläger gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin in eine Gemeinschaftsunterkunft der Beklagten.
Aus einer Erwerbstätigkeit während der Haftzeit folgte eine Anwartschaft auf Arbeitslosengeld I, welches der Kläger nach der Haftentlassung bis zum 30.08.2009 bezog. Anschließend erhielt er zunächst keine Sozialleistungen. Seine Lebensgefährtin beantragte am 30.10.2009 (nur für sich selbst) Leistungen bei der Beklagten.
Am 25.11.2009 beantragte der Kläger bei der Beklagten Leistungen. Diese gewährte ihm - gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin und später auch den gemeinsamen Kindern - ab dem 01.12.2009 wiederum Grundleistungen nach § 3 AsylbLG. Bis Oktober 2010 wurden die Leistungen monatlich ausgezahlt, ohne dass ein schriftlicher Leistungsbescheid erging.
Am 01.10.2010 legten der Kläger und seine Lebensgefährtin, auch für das erstgeborene Kind, anwaltlich Widerspruch "gegen die noch rechtsmittelfähigen leistungsrechtlichen Entscheidungen" ein. Gleichzeitig beantragten sie "auch die bestandskräftigen Leistungszeiträume" nach Maßgabe des § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) zu übe...