Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung. Taxikosten für Fahrten von und zur Schule. Zumutbarkeit des Verweises auf eine Beförderung durch die Eltern
Orientierungssatz
Aus dem in § 53 Abs 3 SGB 12 aF definierten Zweck der Eingliederungshilfe folgt das Recht eines behinderten Schülers, jedenfalls ab dem Besuch einer weiterführenden Schule unabhängig von den Eltern zur Schule zu gelangen, und er kann nicht zumutbar darauf verwiesen werden, sich von den Eltern mit dem Pkw zur Schule fahren zu lassen.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 30.04.2021 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Übernahme von Taxikosten für Fahrten zur Schule.
Bei der 2006 geborenen Klägerin besteht eine angeborene Beeinträchtigung der Gelenkbewegung. Ihr fehlt an den körperentfernten Gelenken in den Armen und Beinen die Muskulatur, so dass sie diese nur sehr eingeschränkt bewegen kann. Sie kann Gehstrecken bis zu einem Kilometer zu Fuß nur mit erheblicher Mühe und ohne etwas tragen zu müssen, bewältigen. Öffentliche Verkehrsmittel und ein Fahrrad kann sie nicht benutzen. Bei der Klägerin sind ein GdB von 100 mit den Merkzeichen aG, G und H und der Pflegegrad 3 anerkannt.
Die Klägerin lebt gemeinsam mit ihren Eltern und ihrer 2004 geborenen, nicht behinderten Schwester in B.. Die Eltern sind berufstätig, die Mutter arbeitet in Teilzeit, der Vater war im streitigen Zeitraum zeitweise im Ausland tätig. Beide Eltern haben einen PKW zur Verfügung. Die Klägerin besuchte bis zum Schuljahr 2016/17 die P.-Montessori-Grundschule in B.. Die Schule ist 1,1 km vom Elternhaus entfernt. Die Klägerin wurde mit dem Taxi zur Schule gefahren, die Kosten trug der Schulträger.
Zum Schuljahr 2017/2018 wechselte die Klägerin auf das N.-Gymnasium in B.. Die Entfernung zum Elternhaus beträgt ebenfalls 1,1 km. Während der Schulzeit wird die Klägerin durch eine Integrationshelferin unterstützt. Der Transport zur Schule erfolgte weiterhin mit einem Taxi. Die Kosten für das Schuljahr 2017/2018 beliefen sich auf 2.240 EUR. Ein Schülerspezialverkehr stand der Klägerin nicht zur Verfügung. Die Eltern der Klägerin finanzieren die Kosten für die Beförderung mit dem Taxi seit dem Schuljahr 2017/18 vor. Die Schwester der Klägerin besucht dieselbe Schule und fährt mit dem Fahrrad dort hin.
Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 19.07.2017 die Übernahme der Taxikosten für die Fahrten zur Schule bei der Stadt B. als Schulträger des Gymnasiums. Die Stadt B. bewilligte mit Bescheid vom 17.08.2017 gem. § 16 Abs. 1 Schülerfahrtkostenverordnung NRW (SchfKVO) eine Wegstreckenentschädigung iHv 0,13 EUR pro gefahrenem Kilometer. Für das Schuljahr 2017/18 erstattete die Stadt B. insgesamt einen Betrag iHv 60,42 EUR. Nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen sei gem. § 16 Abs. 2 SchfkVO eine Übernahme von Taxikosten möglich. Ein solcher Ausnahmefall liege jedoch nicht vor, da die Eltern nicht belegt hätten, dass ihnen die Beförderung mit dem eigenen Pkw nicht möglich oder nicht zumutbar sei. Eine Klage gegen diesen Bescheid hat die Klägerin nicht erhoben.
Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 21.08.2017 die Übernahme der Taxikosten bei dem Beklagten, soweit diese nicht durch die Stadt B. getragen werden. Es handele sich um einen behinderungsbedingten Bedarf, der im Rahmen der Eingliederungshilfe zu decken sei.
Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 28.08.2017 ab. Zuständig für die Übernahme von Schülerfahrtkosten sei die Stadt B. als Schulträger, so dass aufgrund des Nachrangs der Sozialhilfe gem. § 2 SGB XII kein Anspruch bestehe.
Die Klägerin legte gegen den Bescheid am 26.09.2017 Widerspruch ein. Die Kosten seien von der Stadt B. nicht vollständig übernommen worden und daher durch die Leistungen der Eingliederungshilfe zu decken. Der Nachrang der Sozialhilfe stehe dem nicht entgegen. Im Widerspruchsverfahren haben die Eltern mitgeteilt, nicht geltend zu machen, dass eine Beförderung mit dem eigenen Pkw nicht möglich sei.
Der Beklagte wies den Widerspruch unter Beteiligung sozial erfahrener Dritter mit Widerspruchsbescheid vom 28.02.2018 zurück. Ein Anspruch auf Übernahme von Taxikosten bestehe nicht, da die Eltern zur Beförderung der Klägerin verpflichtet seien. Diese mache nicht geltend, dass die Beförderung mit dem eigenen Pkw nicht möglich sei. Die Übernahme von Taxikosten sei daher nicht erforderlich, um die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mildern.
Die Klägerin hat am 21.03.2018 Klage erhoben. Die Taxikosten seien im Rahmen der Eingliederungshilfe zu übernehmen, soweit sie nicht durch den Schulträger getragen werden. Dem stehe der Nachrang der Sozialhilfe nicht entgegen, da die Beförderung durch die Eltern nicht erfolge und die Kl...