Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankenhausvergütung. öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch. Hauptdiagnose. Kodierung

 

Orientierungssatz

1. Zu den Voraussetzungen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs.

2. Aus der Formulierung "nach Analyse" in den Deutschen Kodierrichtlinien (DKR 2005) ergibt sich, dass die Hauptdiagnose immer erst am Ende der Behandlung festgelegt werden kann, dass also unerheblich ist, ob bereits der einweisende Arzt oder der aufnehmende Arzt die zutreffende Diagnose gestellt haben. Die "Analyse" zur Festlegung der Hauptdiagnose zielt nicht auf die Frage, welche Krankheit retrospektiv den Hauptkostenaufwand bedingt hat. Sie richtet sich vielmehr darauf, welche Krankheit hauptsächlich für die "Veranlassung des Krankenhausaufenthalts" verantwortlich ist.

 

Normenkette

SGB V § 301 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, Abs. 2 S. 1, § 27 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 5, § 39 Abs. 1 S. 2; BGB § 812 Abs. 1 S. 1, § 818 Abs. 3; KHG § 17b Abs. 2 S. 1

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 21.04.2015; Aktenzeichen B 1 KR 9/15 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 08.07.2009 in der Fassung des Beschlusses vom 20.08.2009 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 19.265,13 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 23.07.2007 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird auf 19.265,13 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Die klagende Krankenkasse begehrt die (teilweise) Zurückzahlung von ihr beglichener Kosten einer stationären Krankenhausbehandlung, weil Haupt- und Nebendiagnosen unzutreffend kodiert worden seien. Streitig ist vor allem die Auslegung der Definition der Hauptdiagnose in den Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) 2005.

Der am 00.00.1980 geborene und bei der Klägerin versicherte schwerst mehrfachbehinderte Herr F (Versicherter) leidet unter anderem an einer Epilepsieerkrankung; er wird mittels einer Sonde ernährt. Nachdem bei ihm seit dem 13.09.2005 rezidivierend - auch unter antibiotischer Therapie - Fieber aufgetreten war, wurde er aufgrund einer Verordnung des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. S (Diagnosen "unkl. therapieresistenter Fieberzustand unkl. Genese, Aspiration bei PEG, zerbr. Anfallsleiden") am 22.09.2005 im Krankenhaus der Beklagten, Abteilung Neuropädiatrie, stationär aufgenommen.

Ausweislich des Entlassungsberichts erhielt der Versicherte zunächst eine Infusionsbehandlung, unter der weitere Fieberschübe auftraten; es wurde eine umfangreiche Diagnostik durchgeführt und am 28.09.2005 die Sonde gewechselt. Nachdem es zu einer Entfieberung gekommen war, traten vermehrt klassifizierbare Krampfanfälle auf und es wurde zunächst sporadisch jedoch auch in größerer Menge Erbrechen beobachtet; später kam es ganz massiv zum Erbrechen. Es erfolgten eine umfangreiche medikamentöse Umstellung der antikonvulsiven Medikation und ein Wechsel auf eine andere Sonde. Am 10.11.2005 wurde der Versicherte in gutem, klinisch infektfreiem Allgemeinzustand entlassen.

Mit Rechnung vom 25.11.2005 (G-DRG (German Diagnosis Related Groups) B76A (Anfälle, mehr als 1 Behandlungstag mit komplexer Diagnostik und Therapie)) forderte die Beklagte für die stationäre Behandlung des Versicherten einen Betrag in Höhe von 29.401,03 EUR. Als abrechnungsrelevante Hauptdiagnose gab sie nach ICD-10-GM (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision, angepasst an deutsche Verhältnisse (German Modifikation)) Schlüsselnummer G40.2 (Lokalisationsbezogene (fokale) (partielle) symptomatische Epilepsie und epileptische Syndrome mit komplexen fokalen Anfällen) und die Prozedur 8-972.2 (Komplexbehandlung bei schwer behandelbarer Epilepsie, mindestens 21 Behandlungstage) an.

Die Klägerin überwies unter dem vom 05.12.2005 den geforderten Betrag, veranlasste aber eine Überprüfung unter anderem der Richtigkeit der Kodierung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) In seinem Gutachten vom 22.09.2006 gelangte Dr. T zu der Einschätzung, dass die Hauptdiagnose nicht korrekt kodiert sei. Es hätte die ICD-Schlüsselnummer A49.8 (Sonstige bakterielle Infektionen nicht näher bezeichneter Lokalisation) kodiert werden müssen, da zur Aufnahme nicht die Epilepsie, sondern die Fieberschübe unklarer Genese geführt hätten. Die Epilepsie sei als Nebendiagnose kodierrelevant. Darüber hinaus sei die Kodierung einiger Nebendiagnosen und Prozeduren, insbesondere der Prozedur 8-972.2, medizinisch nicht ausreichend belegt. Bei korrekter Kodierung von medizinisch nachvollziehbaren Diagnosen und Prozeduren bilde sich der Behandlungsfall über die DRG T64Z ab. Gestützt auf diese Einschätzung forderte die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 16.10.2006 unter Beifügung des MDK-Gutachtens zur Rücküberweisung eines nach ihrer Auffassung überzahlten Betrages in Höhe von 20.960,05 Euro auf.

Die Beklagte widersprach den ...

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