Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit der Altersgrenze für die Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit

 

Orientierungssatz

1. Die Altersgrenze für die Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit mit Vollendung des 68. Lebensjahres gemäß § 95 Abs. 7 S. 3 SGB 5 ist mit dem GG vereinbar.

2. Diese Bewertung ändert sich nicht durch die Einschränkung der Geltung der Altersgrenze für den Fall einer Unterversorgung durch das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz zum 1. 1. 2007. Einer verfassungsrechtlichen Neubewertung bedarf es nicht deshalb, weil der Gesetzgeber die Altersgrenze für Vertragsärzte durch das GKV-OrgWG vom 15. 12. 2008 zum 1. 10. 2008 aufgehoben hat.

3. Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht dadurch verletzt, dass § 95 Abs. 7 S. 3 SGB 5 den Vertragsärzten, die im Jahr 2008 das 68. Lebensjahr vollendet haben, eine Weiterführung der Praxis ermöglicht, wenn der Vertragsarztsitz nicht nach § 103 Abs. 4 SGB 5 fortgeführt wird. Für die Ausgestaltung einer Übergangsregelung hat der Gesetzgeber einen breiten Gestaltungsspielraum.

4. Durch die Rechtsprechung des EuGH ist geklärt, dass die Regelung des § 95 Abs. 7 S. 3 SGB 5 a. F. mit europäischem Recht vereinbar ist. Im System der versorgungsgradabhängigen Bedarfsplanung mit örtlichen Zulassungssperren dient die Altersgrenze für Vertragsärzte der Wahrung der Berufszugangschancen für jüngere, an der Zulassung interessierte Ärzte. Diese sollen die Möglichkeit haben, eine vertragsärztliche Tätigkeit auch in wegen Überversorgung gesperrten Gebieten aufzunehmen.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 24.09.2008 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Beendigung seiner Zulassung als Vertragsarzt zum 31.03.2007 wegen Vollendung des 68. Lebensjahres.

Der am 00.00.1939 geborene Kläger ist Facharzt für Neurologie und Psychiatrie sowie für psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Er war bis zu seinem 55. Lebensjahr als Krankenhausarzt tätig und hat sich sodann in T niedergelassen (Beschluss des Zulassungsausschusses der Ärzte und Krankenkassen für den Regierungsbezirk E - ZA - vom 24.02.1994). Im April 2006 wandte er sich an die Beigeladene zu 1) - die Kassenärztliche Vereinigung -, um vorzeitig zu klären, ob eine gesetzliche Neuregelung der vertragsärztlichen Altersgrenze von 68 Jahren ausstehe. Nach Erhalt der Mitteilung der Beigeladenen zu 1), dass eine Änderung der gesetzlichen Regelungen nur für den Fall einer Unterversorgung vom Bundesministerium für Gesundheit geplant sei und eine Verlängerung der vertragsärztlichen Tätigkeit im Falle des Klägers nicht in Betracht komme, wandte der Kläger sich an den ZA, um eine Verlängerung seiner Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit zu erreichen.

Gegen dessen ablehnende Entscheidung vom 05.07.2006 (Bescheid vom 13.07.2006) ersuchte der Kläger einstweiligen Rechtsschutz, um die Fortsetzung der vertragsärztlichen Tätigkeit über den 31.03.2007 bereits im Vorfeld zu erreichen. Mit Beschluss des Sozialgerichts (SG) Detmold vom 08.08.2006 (S 5 KA 4/06 ER) wurde der Antrag abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde blieb ebenfalls erfolglos (Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen - LSG NRW - vom 25.10.2006 - L 10 B 15/06 KA ER -).

Mit dem gegen den Beschluss des ZA vom 05.07.2006 eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, durch die am 01.01.1999 in Kraft getretene Altersgrenzenregelung in § 95 Abs. 7 Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) finde eine weitreichende Altersdiskriminierung statt, die sich letztlich wie eine absolute Zulassungsschranke auswirke. Es bestehe europarechtlich sowie nach Maßgabe des zum 18.08.2006 in Kraft getretenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) die Verpflichtung, die diskriminierende Norm unangewendet zu lassen. Mit Beschluss vom 08.11.2006 (Bescheid vom 19.01.2007) wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Seine Zulassung ende nach § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V mit Ablauf des 1. Quartals 2007. Ein Ausnahmetatbestand gemäß Satz 4 der Vorschrift sei nicht gegeben, da die Übergangsregelung zur Einführung der Altersbegrenzung keine Anwendung finde. Sie betreffe nur Vertragsärzte, die bereits vor dem 01.01.1993 als Vertragsarzt zugelassen gewesen seien. Auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten sei die vom Kläger angegriffene Altersbegrenzung nicht zu beanstanden. Unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 25.11.1998 - B 6 KA 4/98 R -) und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 31.03.1998 - 1 BvR 2167/93 -) führte der Beklagte zur Begründung aus: Die Altersgrenze diene wegen der Gefahr nachlassender Leistungsfähigkeit älterer Ärzte einem besonders wichtigem Gemeinschaftsgut. Im Übrigen werde die Finanzierbarkeit des Systems hierdurch gesichert, da eine Beschränkung der Vertragsarztzahlen erreicht werde. Dies dürfe nicht nur zu Lasten der jüngeren Ärz...

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