Entscheidungsstichwort (Thema)
Honorarverteilungsmaßstab. Ausdehnung. vertragsärztliche Tätigkeit. Absenkung. Grenzwert. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Im Rahmen der Honorarverteilung schließen Art 12 und 14 GG die zur Definition einer übermäßigen Ausdehnung der vertragsärztlichen Tätigkeit notwendigerweise festzulegende Absenkung der Grenzwerte nicht aus.
2. Wenn bislang keine Kürzungsmaßnahmen erfolgt sind, so bedeutet das nicht, daß in der Vergangenheit eine übermäßige Ausdehnung der Vertragsarztpraxis nicht vorgelegen habe.
3. Die von einer kassenärztlichen Vereinigung hinsichtlich der Festsetzung der Grenzwerte vorgenommene Differenzierung nach den den berufsständischen Gliederungen nach Fachgebieten entnommenen Arztgruppen genügt dem sich aus Art 3 Abs 1 GG ergebenden Gebot der Gleichbehandlung.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Honorarkürzung wegen übermäßiger Ausdehnung der vertragsärztlichen Tätigkeit nach § 4 des Honorarverteilungsmaßstabes der Beklagten (HVM) in der ab 01.01.1993 geltenden Fassung.
Der Kläger ist als Neurologe und Psychiater in D. niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Seine Honoraranforderung für das Quartal 1/1993 kürzte die Verwaltungsstelle D. der Beklagten mit dem Honorarbescheid vom 15.07.1993 nach Maßgabe des § 4 HVM um DM 11.479,31. Zur Begründung seines dagegen eingelegten Widerspruches machte der Kläger geltend, der Honorarverteilungsmaßstab benachteilige die inhomogene Fachgruppe der Nervenärzte. Das unterschiedliche Abrechnungsverhalten, insbesondere hinsichtlich punktintensiver Leistungen mit hohem Investitionskostenaufwand, erfordere innerhalb der Gruppe der Nervenärzte unterschiedliche Punkt- und Fallzahlengrenzwerte. Die in § 4 HVM vorgesehene Berücksichtigung von Auftragsleistungen sei unzureichend, weil es sich auch bei vielen Überweisungen zur Mitbehandlung in Wirklichkeit um Auftragsleistungen handele. Die Zahl der von ihm behandelten Fälle und seine Leistungsanforderungen seien in den letzten Jahren konstant geblieben, so daß der Verdacht einer Mengenausweitung nicht bestehe. Die Situation habe sich für ihn erst durch die nicht nachvollziehbare drastische Absenkung der Grenzwerte verschärft. Es könne nicht Sinn des HVM sein, seit Jahren absolut kontinuierlich arbeitende Kollegen zu bestrafen.
Der Vorstand der Beklagten wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 28.03.1994 zurück. Zur Begründung führte er im wesentlichen aus, der HVM greife erst nach sachlich-rechnerischer Richtigstellung und Wirtschaftlichkeitsprüfung.
Ausnahmetatbestände und Praxisbesonderheiten seien bereits bei der Festsetzung der Grenzwerte berücksichtigt worden. Die Überschreitung der Grenzwerte rechtfertigende Umstände seien weder aus den Unterlagen ersichtlich noch vorgetragen worden.
Hiergegen hat der Kläger am 26.04.1994 Klage vor dem Sozialgericht Dortmund erhoben. Zu deren Begründung hat er sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und ergänzend vorgetragen, mehr als die Hälfte der von ihm durchgeführten elektromyografischen und dopplersonografischen Untersuchungen stellten reine Auftragsleistungen dar. Die Kürzung im Quartal 1/1993 setze ein, obwohl er in diesem Quartal weniger Honorar angefordert habe als im Quartal 1/1992. § 85 Abs. 4 Satz 4 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) ziele darauf ab, einer unerwünschten Ausdehnung der vertragsärztlichen Tätigkeit zu begegnen, nicht aber darauf, einer seit Jahren bestehenden und ordnungsgemäß arbeitenden Praxis durch Einkommenskürzungen teilweise die Grundlagen zu entziehen, um die Praxis auf ein "Standard- oder Mittelmaß" zu reduzieren. Eine Regelung, die statt auf Verhinderung einer Ausdehnung auf "Beschneidung" ausgerichtet sei, werde Sinn und Zweck der gesetzlichen Vorschrift nicht gerecht. § 4 HVM der Beklagten verstoße auch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Er berücksichtige nicht, daß nervenärztliche Praxen in einer Größe bestünden, die regelmäßig an die gesetzten Grenzwerte heranreichten und in dieser Ausdehnung schon geraume Zeit vor Einführung des HVM in seiner jetzigen Fassung bestanden hätten. Die jetzt aus der Absenkung der Grenzwerte resultierende Kürzung bedeute für den Kläger eine Sanktionierung der Tatsache, daß in seiner Praxis ein gleichbleibender Patientenzulauf und ein gleichbleibendes Behandlungsvolumen zu verzeichnen sei. Die Eigenheiten des Umfangs seiner Praxis hätten keinen Eingang in die Honorarberechnung gefunden, so daß eine unzulässige Gleichbehandlung von Ungleichem vorliege. Die Kürzung verletze außerdem den über Jahre angewachsenen Bestandsschutz. Die Beschneidung einer bestehenden Praxis in ihrer tatsächlichen Größe sei als Eingriff in die Rechte aus Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) durch § 85 Abs. 4 Satz 4 SGB V nicht gedeckt, da diese Norm nur einer zukünftigen übermäßigen Ausdehnung des Praxisbetriebes entgegenwirken solle. Ferner hat der Kläger gerügt, der Widerspruchsbescheid der Beklagten...