Entscheidungsstichwort (Thema)

Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis. Beherrschung der deutschen Sprache in Schriftform. Schulbildung

 

Orientierungssatz

1. Bei Personen mit sehr geringer Schulbildung kann allein aufgrund der Schriftprobe die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) nicht verneint werden.

2. Auch ein Analphabet, bei dem naturgemäß nur auf die mündliche Ausdrucksfähigkeit abgestellt werden kann, kann dem dSK angehören.

3. Bei allen anderen Personen, die nicht Analphabeten sind, ist Maßstab für die Bewertung ihrer deutschen Schriftproben der Leistungsstand des Beherrschens der Sprache, die sie - im Gegensatz zum Deutschen - in ihrer normalen Schulausbildung in Wort und Schrift erlernt haben.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Beklagte der Klägerin Altersruhegeld unter Berücksichtigung von in Rumänien zurückgelegten Pflichtbeitragszeiten zu gewähren hat. Im Vordergrund steht die Frage, ob die Klägerin dem deutschen Sprach- und Kulturkreis - dSK - angehört.

Die 1926 in Sächsisch Regen / Rumänien geborene Klägerin ist jüdischer Abstammung. Sie besuchte von 1933 bis 1940 in ihrem Geburtsort die Volksschule mit rumänischer Unterrichtssprache. Von Mai 1944 bis März 1945 wurde sie von den Nationalsozialisten verfolgt. Sie hat deswegen Entschädigung wegen Freiheitsschadens nach dem Bundesentschädigungsgesetz -BEG - erhalten. Daran anschließend lebte die Klägerin in Sächsisch Regen und wanderte 1959 nach Israel aus. Die Klägerin besitzt die israelische Staatsangehörigkeit. Aus ihrer 1946 geschlossenen Ehe ist das 1950 geborene Kind M hervorgegangen.

Zur Begründung ihres Antrages auf Altersruhegeld aus der deutschen Rentenversicherung vom 23. Januar 1990 trug die Klägerin vor, sie habe von Sommer 1941 bis April 1944 als Spulerin und von Anfang 1952 bis Februar 1959 als Kassiererin in Sächsisch Regen gearbeitet. Sie habe im persönlichen Lebensbereich überwiegend deutsch gesprochen, allgemein habe sie deutsch, rumänisch und ungarisch als Umgangssprache benutzt. Im Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes im Jahre 1959 habe sie im persönlichen Lebensbereich deutsch und rumänisch gesprochen. Die Klägerin stützte sich auf Erklärungen der E S vom 10. Juli 1991 und der G R vom 11. Juli 1991, die bestätigten, daß im Elternhaus der Klägerin überwiegend deutsch gesprochen worden sei. Die auf Veranlassung der Beklagten vom israelischen Finanzministerium durchgeführte Sprachprüfung ergab, daß die Klägerin fließend deutsch mit regionaler Färbung sprach. Sie las leichte deutsche Texte mit Verständnis. Aus Mangel an geeigneter Schulung konnte sie keine Schriftprobe erstellen. Die Beklagte holte außerdem Auskünfte der Heimatauskunftsstelle Rumänien vom 10. November 1992 ein.

Mit Bescheid vom 08. Dezember 1993 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit der Begründung ab, sie gehöre nicht dem dSK an, denn es sei nicht glaubhaft gemacht, daß die Klägerin, die mehrsprachig sei, die deutsche Sprache im persönlichen Bereich überwiegend verwandt habe. Darüberhinaus sei sie auch nicht in der Lage gewesen, eine Schriftprobe in deutscher Sprache anzufertigen.

Zur Begründung ihres Widerspruches vom 03. Januar 1994 trug die Klägerin vor, sie gehöre dem dSK an, denn bei der im israelischen Finanzministerium durchgeführten Sprachprüfung habe der Sprachprüfer bestätigt, daß sie bis zum Verlassen ihres Heimatortes im Jahre 1959 dem dSK angehört habe.

Gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 1995, mit dem die Beklagte weiterhin die Gewährung des Altersruhegeldes ablehnte, hat die Klägerin am 24. Januar 1995 Klage erhoben. Sie hat vorgetragen, sie habe die deutsche Sprache hauptsächlich mündlich in der Familie gelernt. Es treffe zwar zu, daß im Elternhaus und in der Ehe mehrere Sprachen gesprochen worden seien, deutsch sei aber die überwiegende Umgangssprache gewesen.

Nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen hat die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 08. Dezember 1993 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 1995 zu verurteilen, ihr Altersruhegeld aus der deutschen Arbeiterrentenversicherung unter Anerkennung rumänischer bzw. ungarischer Beitragszeiten nach § 17a Fremdrentengesetz - FRG - und § 20 des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Rentenversicherung - WGSVG - nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 07. September 1995 die Klage abgewiesen. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das ihr am 04. Oktober 1995 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 19. Oktober 1995, zu deren Begründung sie vorträgt, wegen des positiven Ergebnisses der Sprachprüfung - es seien ihr gute Fähigkeiten beim Sprechen und Lesen bescheinigt worden - gehöre sie dem dSK an. Schwierigkeiten, die sie bei der schriftlichen Prüfung gehabt hätte, dürften nicht überbewertet werden. Die...

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