Entscheidungsstichwort (Thema)

Erstattungsanspruch. Zweitangegangener Rehabilitationsträger. Hilfsmittel. Aktivrollstuhl. Zweitversorgung. Behinderungsausgleich. Allgemeines Grundbedürfnis. Mobilität. Schulausbildung. Transport des Rollstuhls. Schülerbeförderung. Leistungsklage

 

Orientierungssatz

Parallelentscheidung zu dem Urteil des LSG Essen vom 20.1.2011 - L 16 KR 32/09, das vollständig dokumentiert ist.

 

Normenkette

SGB V § 12 Abs. 1, § 33 Abs. 1 S. 1; SGB IX § 14 Abs. 4 S. 1

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 03.11.2011; Aktenzeichen B 3 KR 5/11 R)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 20.01.2009 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 3.207,64 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Kostenerstattung (KE) bzgl. einer Zweitversorgung mit einem Rollstuhl für den Schulbesuch.

Der am 00.00.1998 geborene, bei der Beklagten über seine Mutter krankenversicherte T (im Folgenden: Versicherter) besucht in P die städtische Förderschule für körperliche und motorische Entwicklung. Er wohnt in X und ist als ehemaliges extrem Frühgeborenes der 26. Schwangerschaftswoche wegen einer schweren Körperbehinderung - spastische Cerebralparese, posthämorrhagischer Hydrocephalus internus, Entwicklungsverzögerung - auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen. Zu Lasten der Beklagten war er mit einem Aktivrollstuhl Typ "Sopur Youngster 3" ausgestattet. Die Fachklinik B verordnete dem Versicherten, der zunächst eine heilpädagogische Kindertageseinrichtung in M besucht hatte, am 27.05.2005 einen zweiten derartigen Rollstuhl mit anatomischem Sitz nach Maß. Als Therapieziel war "Soziale Integration im besonderen Hinblick auf die Schule" angegeben. Eine Zweitversorgung sei notwendig, da das Transportunternehmen den vorhandenen Rollstuhl nicht transportiere. Der Kostenvoranschlag der Fa. Rehatechnik B GmbH vom 25.08.2005 belief sich auf 3.207,64 EUR für einen Aktivrollstuhl Typ Youngster 3.

Den Antrag auf Rollstuhlzweitversorgung stellte die Versicherte zunächst am 25.08.2005 bei der Beklagten, die ihn mit Schreiben vom 26.08.2005 unter Hinweis auf § 14 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) an den Kläger als aus ihrer Sicht zuständigen Leistungsträger weiterleitete, wo er am 29.08.2005 einging: Eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), so die Beklagte, sei nicht erkennbar. Der Versicherte sei zuletzt am 27.02.2003 mit einem baugleichen Aktivrollstuhl in einem Kostenumfang von 4.036,75 EUR versorgt worden. Die Notwendigkeit einer Zweitversorgung zu ihren, der Beklagten, Lasten sei nicht ersichtlich.

Der Kläger bewilligte als überörtlicher Träger der Sozialhilfe in der Folge mit Bescheid vom 19.01.2006 die Versorgung des Versicherten mit einem Faltrollstuhl Sopur Youngster III, der im Eigentum des Klägers verblieb, zum Preis von 3.207,64 EUR und gab den Rechnungsbetrag am 24.04.2006 zur Zahlung frei. Mit Schreiben vom selben Tag, das bei der Beklagten am 26.04.2006 einging, machte der Kläger dieser gegenüber die Erstattung dieser Kosten gemäß § 102 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) iVm § 14 SGB IX geltend. Er habe 3.207,64 EUR aufgewandt, jedoch seien Sozialhilfeleistungen nachrangig; gemäß § 2 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) gingen Verpflichtungen anderer vor. Die Beklagte lehnte den Erstattungsanspruch mit Schreiben vom 26.04.2006 ab: Das Bundessozialgericht (BSG) habe in ständiger Rechtsprechung deutlich gemacht, dass der GKV allein die medizinische Rehabilitation obliege, also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbständiges Leben führen und um die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Leistungen zur Teilnahme am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft, die auch die Versorgung mit Hilfsmitteln umfassen könnten, seien hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Die GKV sei nicht dafür zuständig Hilfen zu finanzieren, um die Eingliederung in das private, gesellschaftliche und berufliche Leben zu fördern. Hieran habe auch die Einführung des SGB IX nichts geändert. Bei dem streitigen Hilfsmittel handele es sich nicht um eine medizinische Rehabilitationsleistung, sondern vielmehr um eine Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Im Rahmen des § 33 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) sei die GKV vorrangig für die Erstversorgung mit einem Hilfsmittel zuständig. Die Mehrfachversorgung stehe vorliegend ausschließlich im Zusammenhang mit Transportproblemen. Daher habe der Kläger als überörtlicher Träger der Sozialhilfe in originärer Zuständigkeit gegebenenfalls ein Zweithilfsmittel zur Verfügung zu stellen.

Am 01.08.2007 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Münster erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, die Ablehnung der Beklagten sei nicht haltbar. Der Rollstuhl, mit dem der Versicherte zu deren ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?