Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen. Verjährung des Erstattungsanspruchs. Vierjahresfrist. Hemmung der Verjährung durch Verwaltungsakt. Vorliegen eines Durchsetzungsverwaltungsaktes iS des § 52 Abs 1 SGB 10

 

Orientierungssatz

1. In den Fallgestaltungen des § 50 SGB10 kann erst ein weiterer Bescheid die erstmals durch den Erstattungsbescheid nach § 50 Abs 3 SGB 10 in Gang gesetzte Verjährung hemmen und erst ein (weiterer) Verwaltungsakt zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers im Sinne des § 52 Abs 1 SGB 10 löst nach dessen Unanfechtbarkeit den Übergang in eine längere Verjährungsfrist von 30 Jahren nach § 52 Abs 2 SGB 10 aus (vglBSG vom 4.3.2021 - B 11 AL 5/20 R = BSGE 131, 286 = SozR 4-1300 § 50 Nr 7, RdNr 29).

2. Weder die Niederschrift über die fruchtlose Pfändung noch die fruchtlose Pfändung als solche stellen einen Durchsetzungsverwaltungsakt im Sinne des § 52 Abs 1 SGB 10 dar.

3. Ebenfalls fehlt den im Vorfeld grundsätzlich ergehenden Vollstreckungsankündigungen eine Regelungswirkung.

4. Auch die vorliegend erfolgten Mahnungen und Zahlungserinnerungen stellen keine Verwaltungsakte dar. Es handelt sich lediglich um Mahnungen im Sinne des§ 3 Abs 3 VwVG , die als unselbständige Vorbereitungshandlungen zur Vollstreckungsanordnung nicht anfechtbar sind und keine eigene Verwaltungsaktqualität haben (vglBSG vom 5.8.1997 - 11 BAr 95/97 = juris RdNr 6 ).

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 06.02.2023 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch im Berufungsverfahren.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob ein Erstattungsanspruch des Beklagten gegen die Klägerin aus dem Jahr 2009 verjährt ist.

Die am 00.00.0000 geborene Klägerin bezog Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II, in der Fassung bis zum 31.12.2022) von dem Beklagten.

Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 21.09.2009 hob der Beklagte gegenüber der Klägerin zuvor bewilligte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II wegen höheren Einkommens für den Zeitraum vom 01.01.2007 bis zum 31.07.2008 teilweise in Höhe von 852,95 Euro auf und forderte sie zur Erstattung auf. Mit einem weiteren Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 22.09.2009 hob er für die Klägerin und ihre zwei Kinder die bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II wegen bedarfsdeckenden Einkommens für den Zeitraum vom 01.08.2007 bis zum 31.07.2008 vollständig in Höhe von 10.403,06 Euro auf und forderte sie ebenfalls zur Erstattung auf. Zahlungen seien an die Kasse der Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen zu leisten, die ihr die konkreten Formalitäten gesondert mitteile. Die Klägerin legte gegen beide Bescheide keinen Widerspruch ein.

Der Beklagte beauftragte, vertreten durch die Bundesagentur für Arbeit (im Folgenden: BA), das Hauptzollamt E. mit der Beitreibung der Forderung. Am 09.02.2010 erfolgte durch das Hauptzollamt E. ein Pfändungsversuch bei der Klägerin. Die Pfändung blieb erfolglos. Über diesen Pfändungsversuch erfolgte eine zweiseitige "Niederschrift über eine fruchtlose Pfändung". Darin wird unter anderem ausgeführt, das Hauptzollamt E. habe einen Vollziehungsbeamten beauftragt, wegen der Rückstände eine Pfändung bei der Klägerin durchzuführen. Dieser habe sich in die Wohnung der Klägerin begeben und sie dort angetroffen, aber sie sei der Aufforderung der Begleichung der Forderung nicht nachgekommen. Der Vollziehungsbeamte habe verlangt, dass sie ihm ihre bewegliche Habe vorzeige und ihr Besitztum (Wohnung) sowie Behältnisse öffne. Dem Durchsuchungsverlangen habe sie entsprochen, die Durchsuchung sei daraufhin in ihrer Gegenwart vorgenommen worden. Zudem stellte der Vollziehungsbeamte fest, dass pfändbare Sachen nicht vorgefunden wurden. Der Klägerin wurde diese Niederschrift zur Durchsicht vorgelegt und von ihr genehmigt und unterschrieben.

Im Anschluss erfolgten zwei Mahnungen vom 11.09.2011 und vom 01.08.2013, wobei erstere aufgrund eines Umzugs der Klägerin als unzustellbar zur BA zurückkam.

Am 23.06.2014 ergingen drei Vollstreckungsankündigungen des Hauptzollamtes E. an die Klägerin über einen Betrag in Höhe von 3.252,96 Euro aus einem Bescheid vom 21.09.2009, über einen Betrag in Höhe von 3.792,78 aus einem Bescheid vom 22.09.2009 sowie einen Betrag in Höhe von 4.363,70 Euro aus einem Bescheid vom 22.09.2009, jeweils fällig am 04.03.2011, zusammengerechnet insgesamt 11.409,44 EUR. Die Summe aller drei Beträge entspricht zusammengerechnet der Summe aus beiden Aufhebungsbescheiden vom 21.09.2009 und 22.09.2009 zuzüglich angefallener Mahngebühren.

Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 04.11.2014 bei dem Beklagten den Erlass der Forderungen aus den Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden vom 21.09.2009 und 23.09.2009 (gemeint sein...

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