Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. sachlicher Zusammenhang. Abweg: Fahren in entgegengesetzter Richtung. Handlungstendenz. eigenwirtschaftliche Tätigkeit. Arztbesuch. Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit
Orientierungssatz
1. Bewegt sich der Versicherte nicht mehr auf direktem Weg in Richtung seiner Arbeitsstätte, sondern in entgegengesetzter Richtung von diesem Ziel fort, so befindet er sich auf einem sog Abweg. Wird ein solcher Abweg bei einer mehr als geringfügigen Unterbrechung des direkten Wegs zurückgelegt, besteht, sobald der direkte Weg verlassen und der Abweg begonnen wird, kein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung. Erst wenn sich der Versicherte wieder auf dem direkten Weg befindet und der Abweg beendet ist, besteht erneut Versicherungsschutz (vgl BSG vom 20.12.2016 - B 2 U 16/15 R = SozR 4-2700 § 8 Nr 60).
2. Nicht jedes Abweichen vom direkten Weg führt zu einer Lösung des inneren Zusammenhangs mit der versicherten Tätigkeit und damit zum Verlust des Versicherungsschutzes in der Wegeunfallversicherung. Versicherungsschutz kann ausnahmsweise auch auf einem Abweg bestehen, wenn dieser im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht. Der Versicherungsschutz bleibt zB erhalten, wenn der Versicherte irrtümlich von dem direkten Weg aus Gründen abweicht, die ihrerseits mit dem Zurücklegen des versicherten Weges, insbesondere seiner Beschaffenheit, in Zusammenhang stehen (vgl BSG vom 24.3.1998 - B 2 U 4/97 R = SozR 3-2200 § 550 Nr 17; vgl BSG vom 18.4.2000 - B 2 U 7/99 R = HVBG-Info 2000, 1846; vgl BSG vom 12.6.1990 - 2 RU 58/89 = HV-Info 1990, 2064).
3. Auch eine Verrichtung, die allgemein zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit dient, wie zB eine ärztliche Behandlung, gehört grundsätzlich zum unversicherten persönlichen Lebensbereich. Dass die Maßnahme mittelbar auch der Erhaltung oder Wiederherstellung der Arbeitskraft dient, ist dabei unerheblich (vgl BSG vom 18.3.1957 - 2 RU 17/96 = SozR 3-2200 § 550 Nr 16 (vgl BSG vom 26.6.2001- B 2 U 30/00 R = SozR 3-2200 § 548 Nr 43; vgl BSG vom 7.9.2004 - B 2 U 35/03 R = SozR 4-2700 § 8 Nr 6).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 20.11.2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Arbeitsunfalls.
Die 1973 geborene und mit ihrer Familie in Schmallenberg (Ortsteil Felbecke), E-Straße 0, wohnende Klägerin war als Aushilfe bei der K Handelsgruppe beschäftigt. Ihre Arbeitsstätte war der ca. 5 km von der Familienwohnung entfernt auf der Q-Straße in Schmallenberg gelegene Supermarkt. Arbeitsbeginn am 24.06.2019 (Montag) war um 09:00 Uhr. Am Morgen dieses Tages verließ die Klägerin die Familienwohnung und fuhr mit dem PKW auf der L737 zunächst in Richtung ihrer Arbeitsstätte. In der Ortschaft Werpe wendete sie ihr Fahrzeug auf einem Hofgelände und fuhr zurück Richtung Felbecke. Kurz nach dem Wendemanöver geriet der von ihr gesteuerte PKW aus ungeklärten Gründen nach rechts von der Fahrbahn ab und prallte gegen einen Straßenbaum. Die Klägerin erlitt hierbei schwerste Verletzungen, u. a. ein Schädel-Hirn-Trauma mit hypoxischem Hirnschaden. Aufgrund der Hirnschäden kann die Klägerin keine Angaben zum Geschehen machen. Nach den Feststellungen im Vermerk des Polizeihauptkommissars A vom 26.06.2019 war die Klägerin im Unfallzeitpunkt nicht angeschnallt. Die Untersuchung des Fahrzeugs ergab keine Hinweise auf unfallursächliche Mängel (Gutachten des Dipl.-Ing. N, DEKRA Automobil GmbH vom 01.07.2019).
In dem von dem Ehemann der Klägerin unter dem 04.07.2019 unterzeichneten Fragebogen heißt es, dass die Klägerin von zu Hause zur Arbeit gefahren sei, in Werpe gedreht habe und zurück nach Hause gefahren sei. Der Ehemann der Klägerin vermerkte, dass die Klägerin den Weg zur Arbeit abgebrochen und wegen Unwohlsein nach Hause habe zurückkehren wollen. Am 28.06.2019 (richtig: 21.06.2019) nachmittags gegen 16 Uhr habe sie Kreislaufprobleme gehabt, ihr sei schwarz vor Augen geworden und sie sei umgefallen.
Mit Bescheid vom 09.07.2019 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Unfalls vom 24.06.2019 als Arbeitsunfall und die Gewährung von Entschädigungsleistungen ab. Zur Begründung führte er aus, dass die Klägerin im Unfallzeitpunkt auf der L737 nicht in Richtung Arbeitsstätte, sondern in Richtung Wohnanschrift gefahren sei. Sie habe sich somit nicht auf dem direkten Weg zur Arbeitsstätte, sondern auf einem Abweg befunden. Wohin sie sich zum Unfallzeitpunkt tatsächlich habe begeben wollen, könne dahingestellt bleiben. Zum Zeitpunkt des Unfalls habe sie nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden, Leistungen der Berufsgenossenschaft seien nicht zu erbringen.
Mit dem dagegen erhobenen Widerspruch ließ die Klägerin über ...