Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziale Pflegeversicherung. Wohngruppenzuschlag nach § 38a SGB 11. Vorliegen einer "gemeinsamen Wohnung". gemeinschaftliche Beauftragung einer "Präsenzkraft"

 

Orientierungssatz

1. Zum Vorliegen einer "gemeinsamen Wohnung" als Voraussetzung für die Gewährung von zusätzlichen Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngruppen (Wohngruppenzuschlag) nach § 38a SGB 11.

2. Zur gemeinschaftlichen Beauftragung einer "Präsenzkraft" iSv § 38a SGB 11.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 04.08.2017 abgeändert und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 15.8.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.11.2016 verurteilt, dem Kläger Leistungen nach § 38 a SGB XI nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen ab Antragstellung zu gewähren.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung von zusätzlichen Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngruppen (sog. "Wohngruppenzuschlag") nach § 38 a Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) ab April 2016.

Der 1966 geborene und bei der Beklagten kranken- und pflegeversicherte Kläger erlitt einen frühkindlichen Hirnschaden. Er ist u.a. an Morbus Parkinson mit Hirnschrittmacher, einem Inlay-Aufbrauch bei Hüft-TEP rechts nach Hüftluxation, Hohlfüßen und einer Polyneuropathie erkrankt. Der Kläger bezieht seit 2005 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung sowie ergänzende Sozialhilfe. Ihm wurde ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 zuerkannt. Seit dem 2.7.2014 hat der Kläger für die Bereiche Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge, Wohnungsangelegenheiten und Vertretung bei Behörden, Gerichten und Leistungsträgern einen Betreuer (Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 2.7.2014).

Die Wohnkonzepte T. gGmbH (fortan: gGmbH) aus L. hat von der H AG die Erdgeschossetage eines Mehrfamilienhauses in der P.-straße 00 in L. angemietet. Sie betreibt dort in Zusammenarbeit mit der Vermieterin und dem Arbeiter-Samariter-Bund die Wohngemeinschaft "W. W1. IV" (fortan: Gemeinschaft). Das Bauvorhaben wurde als Gruppenwohnung im Sinne der Anlage 1 der Wohnraumförderungsbestimmungen (WFB) Punkt 1.3.2 öffentlich gefördert (Änderungsbescheid des Amtes für Wohnungswesen der Stadt Köln vom 7.12.2007). Eine Entscheidung zu der beantragten Statusfeststellung nach dem Wohn- und Teilhabegesetz (WTG) NRW liegt nicht vor.

In der angemieteten Erdgeschossetage gibt es 8 Zimmer (zwischen 13,82 und 20,11 qm groß), die jeweils mit einer Pantryküche (Spüle, zwei Herdplatten, Kühlschrank, ggf. auch Mikrowelle) und einem barrierefreien Duschbad ausgestattet sind. Auf dem gemeinschaftlich genutzten Flur befinden sich vier gemeinsam genutzte Schränke (z.B. für Wintermäntel der Mieter oder Putzutensilien). Von dort aus gibt es einen Zugang zu einem Gäste-WC (1,55 qm), einer gemeinschaftlich genutzten Waschküche (3,11 qm mit Trockner und Waschmaschine) und einem Gemeinschaftszimmer (35,47 qm). In Letzterem befindet sich eine große Küchenzeile mit Herd, Mikrowelle, Backofen, Gefrierschrank, Kühlschrank und Spülmaschine. Der Raum ist mit einem ausziehbaren Tisch mit 8 Stühlen, einem mit Büchern und Gesellschaftsspielen bestückten Schrank sowie einem Fernseher ausgestattet. Jedes der 8 Zimmer und das Gemeinschaftszimmer verfügen über eine kleine Terrasse (1,20 qm). Alle Zimmer haben einen eigenen Hausklingel-, Telefon- und Fernseheranschluss. Die Etagentür sowie die Klinkentüren zu den einzelnen Zimmern und den Gemeinschaftsräumen sind abschließbar. Jeder Mieter hat einen Schlüssel für die Haustür, die Etagentür, die Gemeinschaftsräume sowie seine eigene Zimmertür. Vor der Haustür befindet sich eine Briefkasten- und Klingelanlage. Es gibt jeweils eine Klingel für die Gemeinschaft und eine Klingel für jeden Mieter. Eine Gegensprechanlage befindet sich jedenfalls im Gemeinschaftsraum. Jeweils drei Mieter teilen sich einen Kellerraum mit Abstellflächen. Da die einzelnen Zimmer der Etage weder über baulich abgeschirmte Trennwände und Decken (Schallschutz) noch über einen direkten Ausgang in das Treppenhaus oder ins Freie (Fluchtweg) verfügen, sind sie nach § 49 Bauordnung für das Land NRW (LBO NRW) nicht als abgeschlossene Wohnungen anerkennungsfähig (Schreiben des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes NRW vom 31.8.2018).

Der Kläger schloss am 1.9.2014 (vertreten durch seinen Betreuer) einen Untermietvertrag mit der gGmbH. Darin wurde vereinbart, dass die gGmbH dem Kläger ab dem 1.10.2014 das Zimmer 1 (Wohnfläche inklusive des Anteils der Gemeinschaftsfläche: 33,84 qm) in der Gemeinschaft vermietet. Der Kläger zog zum 1.10.2014 ein. Er zahlt monatlich an die gGmbH seine Miete sowie ein Essensgeld (i.H.v. derzeit noch 70 EUR für das Mittagessen) auf ein Konto der Gemeinschaft.

Mit Bescheid vom 19.11.2014 bewilligte die Beklagte dem Kläger Pflegehilfe gem. § 36 SGB XI nach Pflegestufe I ab dem 26.6.2014. Vo...

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