Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Übernahme der den Festbetrag übersteigenden Kosten für die Anschaffung eines Medikaments. fehlende Anspruchsgrundlage. Hilfe bei Krankheit. keine Anwendbarkeit auf gesetzlich Krankenversicherte. Hilfe in sonstigen Lebenslagen. kein atypischer Bedarf. abweichende Festlegung des individuellen Bedarfs. kein unabweisbarer Bedarf. Abdeckung durch die GKV
Orientierungssatz
1. Besteht gegen die gesetzliche Krankenkasse kein Anspruch auf Versorgung mit einem den Festbetrag übersteigenden Festbetragsarzneimittel, scheidet ein entsprechender Leistungsanspruch gegen den Sozialhilfeträger aus § 48 S 1 SGB 12 ebenfalls aus.
2. § 73 S 1 SGB 12 scheidet als Anspruchsgrundlage von vornherein aus, da die Kosten für die Beschaffung von Medikamenten, die nicht von den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung abgedeckt werden, vom Regelbedarf umfasst und grundsätzlich aus den Regelsätzen zu decken sind.
3. Eine Erhöhung des Regelsatzes nach § 27a Abs 4 S 1 SGB 12 wegen der von einem gesetzlich Krankenversicherten zu tragenden Anschaffungskosten für ein Medikament, dessen Preis den nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung festgesetzten Festbetrag übersteigt, kommt von vornherein nicht in Betracht, denn das System des SGB 5 deckt unabweisbare Bedarfe insoweit hinreichend ab.
4. Wenn - trotz Gewährleistung einer ausreichenden Arzneimittelversorgung durch die Festbetragsfestsetzung im Allgemeinen - aufgrund ungewöhnlicher Individualverhältnisse keine ausreichende Versorgung zum Festbetrag möglich ist, greift die Leistungsbeschränkung der Krankenkassen auf den Festbetrag nach § 12 Abs 2 SGB 5 nicht ein (vgl BSG vom 3.7.2012 - B 1 KR 22/11 R = BSGE 111, 146 = SozR 4-2500 § 35 Nr 6).
Normenkette
SGB XII § 19 Abs. 2-3, § 48 S. 1, § 53 ff., § 73 S. 1, § 27a Abs. 4 S. 1; SGB V § 12 Abs. 2
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 17.06.2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Gewährung zusätzlicher Leistungen der Sozialhilfe, um das Medikament Sortis, dessen Anschaffungspreis den festgesetzten Festbetrag übersteigt, beschaffen zu können.
Der im Oktober 1936 geborene Kläger verfügt weder über Einkommen noch über Vermögen. Er ist bei der AOK Rheinland/Hamburg freiwillig gesetzlich kranken- und pflegeversichert. Seit dem 01.01.2005 bezieht er Leistungen nach dem 4. Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch (SGB XII).
Der Kläger leidet u.a. an einer Erhöhung der Blutfettwerte (Hyperlipoproteinämie). Zur Behandlung dieser Erkrankung verordnete der behandelnde Arzt das Medikament Sortis mit dem Wirkstoff Atorvastatin. Atorvastatin gehört zur Gruppe der Statine. Statine dienen insbesondere dazu, als zu hoch angesehene Spiegel von LDL-Cholesterin im Menschen zu senken. Hierzu vermindern sie die körpereigene Erzeugung dieses Stoffes, indem sie die Wirkung des Schlüsselenzyms für die Cholesterinproduktion in Körperzellen (ß-Hydroxy-ß-Methylglutaryl-Coenzym A-Reduktase (HMG-CoA-Reduktase)) hemmen. Die Zellen reagieren auf den hierdurch hervorgerufenen Cholesterinmangel, indem sie vermehrt Rezeptoren bilden, die das LDL aus dem Blut aufnehmen. Weitere in Deutschland zugelassene Statine sind Fluvastatin, Lovastatin, Pravastatin und Simvastatin. Der Gemeinsame Bundesausschuss fasste auf der Grundlage einer Anhörung und einer gutachterlichen Stellungnahme Arzneimittel mit Statinen als Wirkstoff unter Einbeziehung sämtlicher genannter Wirkstoffe in der Festbetragsgruppe "HMG-CoA-Reduktasehemmer" in der Anlage 2 der Arzneimittel-Richtlinien zusammen. Die AOK Rheinland/Hamburg setzte ab dem 01.06.2006 einen Festbetrag von 36,61 Euro (Standardpackung 100, Wirkstärkenvergleichsgröße 0,97) und ab dem 01.06.2008 einen Festbetrag von 13,48 Euro (Standardpackung zu 100 Stück, Wirkstärkenvergleichsgröße 0,4) fest. Die Festsetzung dieser Festbeträge erklärte das Bundessozialgericht (BSG) für rechtmäßig (Urt. v. 01.03.2011 - B 1 KR 10/10 R -, juris Rn. 29 ff.).
Den den Festbetrag übersteigenden Preis des Medikaments Sortis zahlte der Kläger fortlaufend selbst.
Am 16.11.2007 beantragte der Kläger bei der Beklagten zusätzliche laufenden Leistungen in Höhe von 32,19 Euro und berief sich insoweit auf § 48 SGB XII. Seinem Antrag fügte er eine Quittung über 32,19 Euro bei, die er als Restzahlung für die Anschaffung des Medikaments Sortis aufgewendet hatte.
Mit Bescheid vom 19.11.2007 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit der Begründung ab, der Bedarf werde bereits durch die Regelleistungen gemäß § 27 SGB XII abgedeckt.
Mit seinem hiergegen eingelegten Widerspruch trug der Kläger u.a. vor, er müsse seit Juli 2008 sogar 46,13 Euro für Sortis hinzuzahlen. Zuzahlungen für die Medikamente Belok Zok in Höhe von 1,54 Euro und PK Merz FTA in Höhe von 4,56 Euro kämen hinzu. Die Gesamtkosten von 52,23 Euro könnten nicht durch die Regelleistungen abgedec...