Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeldanspruch. Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe. Abschluss eines Aufhebungsvertrages. wichtiger Grund. Einstellung der Betriebstätigkeit. objektive Drohung einer rechtmäßigen betriebsbedingten Arbeitgeberkündigung. Zeitpunkt der maßgeblichen Prognose
Orientierungssatz
1. Ein wichtiger Grund für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses durch Aufhebungsvertrag gem § 159 Abs 1 S 1 iVm Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 3 liegt dann vor, wenn der Aufhebungsvertrag in der Annahme geschlossen wurde, dass die Betriebstätigkeit des Beschäftigungsunternehmens eingestellt werden soll und damit eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch rechtmäßige Kündigung zu erwarten war.
2. Allerdings genügt dafür im Regelfall nicht die subjektive Erwartung des Arbeitnehmers an eine anstehende Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Ein wichtiger Grund liegt vielmehr nur vor, wenn ansonsten auch objektiv eine rechtmäßige Arbeitgeberkündigung aus nicht verhaltensbedingten Gründen (spätestens) zum gleichen Beendigungszeitpunkt droht (vgl BSG vom 12.7.2006 - B 11a AL 47/05 R = BSGE 97, 1 = SozR 4-4300 § 144 Nr 13).
3. Für die im Rahmen des § 159 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB III gebotene Interessenabwägung kann es nur auf die Ex-ante-Sicht zum Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrages ankommen.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 21.06.2016 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Sperrzeitbescheides vom 04.02.2015 und Abänderung des Bewilligungsbescheides vom 17.02.2015, beide in der Fassung des Änderungsbescheides vom 24.03.2015, sämtlich in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.2015, verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld I vom 01. bis 21.12.2014 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über den Eintritt einer dreiwöchigen Sperrzeit (01. bis 21.12.2014) wegen Arbeitsaufgabe.
Der 1958 geborene Kläger war seit mehr als 40 Jahren bei der F Facility Management GmbH (FFM) beschäftigt, zuletzt in H als Mitarbeiter am Empfang/an der Pforte.
Mit Aufhebungsvertrag vom 13./20.09.2012 wurde das Arbeitsverhältnis auf Veranlassung von FFM einvernehmlich mit Ablauf des 30.11.2014 beendet (Ziffer 1 des Vertrages). Hierfür erhielt der Kläger eine Sonderzahlung von 22.779,55 EUR brutto (Ziffer 3.3) sowie eine ihrer Höhe nach (in Ziffer 4) näher geregelte monatliche Abfindung bis zum Einsetzen einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Vertragstext (Bl. 9 bis 17 der Verwaltungsakte der Beklagten) Bezug genommen.
Nach Anzeige i.S.v. § 38 Abs. 1 Satz 3 SGB III vom 19.08.2014 meldete sich der Kläger am 22.09.2014 persönlich bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld I (Alg) ab dem 01.12.2014. In der Arbeitsbescheinigung der F Business Services I GmbH vom 19.01.2015 gab jene u.a. an, das Arbeitsverhältnis sei am 20.09.2012 betriebsbedingt zum "31.12.2014" durch Aufhebungsvertrag beendet worden. Sonst wäre es am 30.06.2014 zum 31.12.2014 arbeitgeberseitig gekündigt worden. Es sei eine "Abfindung nach KBV Vorruhestand" von 363.416,56 EUR angefallen bei (abgerundet) 41-jähriger Betriebszugehörigkeit; diese wäre bei arbeitgeberseitiger Kündigung nicht gezahlt worden. Der Kläger führte ergänzend mit Schreiben vom 29.01.2015 aus, im Juli/August 2012 sei die Belegschaft darüber informiert worden, dass die FFM im Juni 2013 geschlossen werde. Für Mitarbeiter bis zum Geburtsjahr 1958 sei ein Zeitfenster bis September 2012 eröffnet worden, einen Aufhebungsvertrag anzubieten. Diese Möglichkeit habe er genutzt, um einer fristgerechten betriebsbedingten Kündigung mit unabsehbaren Folgen zu entgehen. Durch die Verhandlungen des Betriebsrates sei dann die Schließung des Betriebs erst für Ende 2014 beschlossen worden.
Mit Bescheid vom 04.02.2015 stellte die Beklagte den Eintritt einer zwölfwöchigen Sperrzeit (01.12.2014 bis 22.02.2015) fest. Der Kläger habe sein Beschäftigungsverhältnis durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages selbst gelöst. Es sei unerheblich, ob die Initiative hierzu von ihm oder von FFM ausgegangen sei; entscheidend sei, dass der Aufhebungsvertrag ohne seine Zustimmung nicht hätte zustande kommen können. Der Kläger habe voraussehen müssen, dass er dadurch arbeitslos werde. Zwar habe er sein Verhalten mit der Vermeidung einer arbeitgeberseitigen Kündigung begründet. Mit einer Betriebszugehörigkeit von 41 Jahren sei er allerdings unkündbar gewesen. Deshalb könne bei Abwägung seiner Interessen mit denen der Versichertengemeinschaft der Eintritt einer Sperrzeit nicht abgewendet werden. Auch in den weiteren Unterlagen seien keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne der Sperrzeitregelung zu erkennen. Es werde nicht verkannt, dass die Gründe für das Verhalten des Klägers aus ...