Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Rechtswirksamkeit einer Klagerücknahmefiktion
Orientierungssatz
1. Gegen die Feststellung des Sozialgerichts, dass die Klage zurückgenommen ist, ist das Rechtsmittel statthaft, das auch gegen eine Entscheidung in der Sache selbst einzulegen wäre.
2. Nach § 102 Abs. 2 S. 1 SGG gilt eine Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt.
3. Eine Klagerücknahmefiktion kann einen Rechtstreit nur beenden, wenn zuvor dem Kläger vom Gericht eine wirksame Betreibensaufforderung zugegangen ist.
4. Sie tritt des Weiteren nur dann ein, wenn auch nach fruchtlosem Fristablauf der Kläger das Verfahren nicht weiter betreibt und das Rechtschutzinteresse entfallen ist (BVerfG Urteil vom 27. 10. 1998, 2 BvR 2662/95). Die bloße Nichteinzahlung eines Gerichtskostenvorschusses durch den Kläger genügt hierzu nicht.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 21.09.2016 aufgehoben und festgestellt, dass der Rechtstreit S 45 R 1173/14 nicht durch Klagerücknahme beendet worden ist.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Feststellung der fiktiven Rücknahme (§ 102 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG) ihrer Klage auf Berechtigung zur Nachzahlung freiwilliger Beiträge und auf Auszahlung einer Altersrente.
Die Klägerin ist israelische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Israel. Sie ist die Tochter der ursprünglich Versicherten H (im Folgenden: Versicherte), als deren Rechtsnachfolgerin sie auftritt. Die Versicherte war israelische Staatsangehörige und Verfolgte gemäß § 1 Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (Bundesentschädigungsgesetz - BEG). Die Versicherte hatte sich - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - im Zeitraum von November 1941 bis März 1944 zwangsweise in einem Ghetto (Kopaigorod) aufgehalten.
Am 19.05.2003 beantragte die Versicherte bei der Beklagten u.a. die Gewährung einer Regelaltersrente unter Anerkennung von Ghetto-Beitragszeiten nach § 2 des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) und die freiwillige Weiterversicherung nach § 7 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Mit Bescheid vom 04.09.2003 lehnte die Beklagte den Antrag der Versicherten ab. Es bestehe kein Anspruch auf Bewilligung einer Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach Maßgabe des ZRBG, weil keine für die Wartezeit anrechenbaren Zeiten vorhanden seien. Den hiergegen erhobenen Widerspruch der Versicherten wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.01.2005 als unbegründet zurück. Hiergegen erhob die Versicherte vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf (Az.: S 26 R 59/05) Klage. Am 21.01.2007 verstarb die Versicherte, das Verfahren wurde von der Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin der Versicherten fortgeführt (Az.: S 26 R 1970/10 WA). Die Beklagte erkannte Beitragszeiten der Versicherten nach dem ZRBG vom 01.11.1941 bis zum 18.03.1944 und Ersatzzeiten wegen Verfolgung vom 24.10.1947 bis zum 31.12.1949 an. Eine Rentenzahlung lehnte sie weiterhin ab, da bei lediglich 56 anrechenbaren Kalendermonaten die Wartezeit nicht erfüllt sei. Die Klägerin nahm das Teilanerkenntnis der Beklagten an und begehrte nunmehr, unter Zulassung einer freiwilligen Weiterversicherung von Januar 1998 bis April 1998 die Gewährung von Regelaltersrente von November 1998 bis Januar 2007. Mit Urteil vom 24.03.2011 verurteilte das SG die Beklagte antragsgemäß. Auf die zugelassene durch die Beklagte eingelegte Sprungrevision (Az.: B 12 R 12/11 R) hob das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 30.04.2013 das Urteil des SG vom 24.03.2011 auf und wies die Klage ab. Das BSG wies darauf hin, dass die Beklagte einen möglicherweise (auch) auf die nachträgliche Entrichtung freiwilliger Beiträge zur Rentenversicherung der Versicherten nach Ablauf der Entrichtungsfrist (§ 197 Abs. 2 SGB VI) in Anwendung von § 197 Abs. 3 SGB VI gerichteten Antrag der Versicherten (Antrag auf "die freiwillige Weiterversicherung nach § 7 SGB VI") bislang nicht beschieden habe (BSG vom 30.04.2013 - B 12 R 12/11 R - juris Rn. 42).
Mit Schreiben vom 06.09.2013 nahm die Klägerin auf die Ausführungen des BSG zu dem Antrag vom 19.05.2003 Bezug und bat um Bescheidung. Vorsorglich beantragte die Klägerin bei der Beklagten (erneut) die Zulassung der Entrichtung von vier freiwilligen Beiträgen nach § 197 Abs. 3 SGB VI. Mit Bescheid vom 16.12.2013 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Zulassung von vier freiwilligen Beiträgen für die Monate Januar bis April 1998 als Härtefallantrag nach § 197 Abs. 3 SGB VI ab. Hiergegen legte die Klägerin am 08.01.2014 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.05.2014 als unbegründet zurückwies.
Mit ihrer am 05.06.2014 bei dem SG erhobenen Klage (Az.: S 45 R 1173/14) ...