Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Kostenerstattung durch überörtlichen Sozialhilfeträger bei Einreise aus dem Ausland. Ausschluss bei Zusammenleben mit Verwandten
Orientierungssatz
Für ein Zusammenleben iS des § 108 Abs 1 S 3 BSHG reicht es aus, wenn der Hilfeempfänger bei Eintritt des Bedarfs vorübergehend (hier: 20 Tage) bei Verwandten wohnt und anschließend in unmittelbarer Nähe zu deren Wohnung (hier: Entfernung von 400m) eine eigene Wohnung bezieht.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 22.06.2006 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens für beide Rechtszüge. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten noch über die Erstattung von Sozialhilfeleistungen, die die Klägerin dem Zeugen Q nach dessen Einreise aus Polen in der Zeit vom 01.12.2001 bis 30.04.2003 bewilligt hatte.
Herr Q ist deutscher Staatsangehöriger und 1978 in Polen geboren. Er arbeitete in der Zeit vom 28.08.2001 bis 15.10.2001 bei einer deutsch-polnischen Baufirma, die ihn als Leiharbeiter in Deutschland einsetzte. Arbeitsstätten waren in Frankfurt, Düsseldorf und Dortmund, wobei die Firma ihm zusammen mit anderen Beschäftigten ein Zimmer als Unterkunft zur Verfügung stellte. Wegen fehlender Aufträge wurde das Arbeitsverhältnis beendet. Gemeldet war der Zeuge am 04.09.2001 bei der Meldebehörde N. Herr Q gab im Verwaltungsverfahren an, dass er während seiner Tätigkeit in Deutschland seinen Wohnsitz in Polen beibehalten habe. Er habe zudem nicht vorgehabt, dauerhaft in Deutschland zu bleiben. Erst nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses habe er beschlossen, endgültig nach Deutschland umzuziehen. Er habe daher seinen Wohnsitz in Polen aufgegeben und sei am 11.11.2001 nach B gezogen. Am 02.11.2001 - zu diesem Zeitpunkt hielt sich Herr Q noch in Polen auf - schlossen seine Schwester und sein Schwager in seinem Auftrag einen Mietvertrag über eine Wohnung in B, A-Straße 00 mit Wirkung von 01.12.2001 ab. Am 11.11.2001 reiste Herr Q aus Polen kommend über Cottbus nach Deutschland ein. Er wohnte bis zum 30.11.2001 bei seiner Schwester, seinem Schwager und deren beiden in Deutschland geborenen Kindern. Ab 01.12.2001 bezog er die angemietete Wohnung.
Am 12.11.2001 sprach Herr Q wegen der Gewährung von Sozialhilfe beim Sozialamt der Klägerin vor. Er gab an, dass er sich bis zum 30.11.2001 bei seiner Schwester aufhalte, da er erst am 01.12.2001 eine eigene Wohnung habe. Herr Q erhielt von der Klägerin in der Zeit vom 12.01.2001 bis 30.04.2003 - zeitweilig ergänzende - Sozialhilfe. Die Aufwendungen der Klägerin betrugen insgesamt 8.013,77 EUR.
Das Bundesverwaltungsamt bestimmte am 22.02.2002 den Beklagten als für die Erstattung zuständigen überörtlichen Träger der Sozialhilfe nach § 108 Abs. 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Erstmals mit Schreiben vom 11.03.2002 bat die Klägerin den Beklagten um Anerkennung der Kostenerstattungspflicht. Dieser lehnte die Kostenerstattung mit Schreiben vom 20.06.2002 mit der Begründung ab, Herr Q habe bei Eintritt des Bedarfs mit Verwandten zusammengelebt. Nach einem Austausch ihrer jeweiligen Rechtstandpunkte bat die Klägerin letztmalig mit Schreiben vom 25.11.2005 um die Abgabe eines Kostenanerkenntnisses. Auch hierauf zahlte der Beklagte nicht.
Am 22.12.2005 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Aachen Klage erhoben. Sie hat die Auffassung vertreten, dass sich ihr Anspruch aus § 108 Abs. 1 Satz 1 BSHG ergebe. Ihr Anspruch sei nicht nach der Vorschrift des § 108 Abs. 1 Satz 3 BSHG ausgeschlossen. Das Merkmal des Zusammenlebens im Sinne dieser Vorschrift sei nicht erfüllt. Ein solches setze eine auf eine gewisse Dauer gerichtete Absicht, als Familiengemeinschaft zusammenzuleben, voraus. Insoweit hat sich die Klägerin auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 15.04.2003 sowie auf die in der Literatur vertretenen Auffassungen bezogen. Ihrem Kostenerstattungsanspruch stehe auch deshalb die Ausschlussvorschrift des § 108 Abs. 1 Satz 3 BSHG nicht entgegen. Danach gelte die Kostenerstattungspflicht gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 BSHG nicht für Personen, die im Geltungsbereich des BSHG geboren seien oder bei Eintritt des sozialhilferechtlichen Bedarfs mit einer solchen Person als Ehegatte, Verwandten oder Verschwägerten zusammenlebten. Das Merkmal des Zusammenlebens sei nicht erfüllt. Ein Zusammenleben gemäß § 108 Abs. 1 Satz 3 BSHG setze eine auf eine gewisse Dauer gerichtete Absicht des Zusammenlebens in einer Familiengemeinschaft voraus. Als Ausnahmevorschrift seien die Tatbestandsvoraussetzungen eng auszulegen. Zudem verwende das Gesetz den Begriff des Zusammenlebens auch an anderer Stelle (§ 23 Abs. 2 Satz 1 BSHG) in dem Sinn, dass darunter ein verfestigtes, längeres Zusammenleben in einer gemeinsamen Wohnung zu verstehen sei. Im Fall des Herrn Q habe sich das Zusammenleben in der Familie der Schwester von vornherein auf 20 Tage ...