Entscheidungsstichwort (Thema)
Erwerbsminderungsrente. Bezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres. Rentenabschlag. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Der Senat schließt sich nicht der Rechtsauffassung des BSG vom 16.5.2006 - B 4 RA 22/05 R = BSGE 96, 209 = SozR 4-2600 § 77 Nr 3 - an, wonach bei einem Rentenbeginn vor Vollendung des 60. Lebensjahres eine Minderung des Zugangsfaktors nicht vorzunehmen ist (Anschluss an LSG Darmstadt vom 24.8.2007 - L 5 R 228/06, LSG Celle-Bremen vom 20.9.2007 - L 2 R 415/07, LSG Schleswig vom 4.9.2007 - L 7 R 97/07 = Breith 2008, 121, SG Berlin vom 11.10.2007 - S 9 R 5458/07, SG Köln vom 14.9.2007 - S 11 R 6/07, SG Detmold vom 14.8.2007 - S 20 R 83/07, SG Köln vom 13.8.2007 - S 3 R 85/07, SG Leipzig vom 3.7.2007 - S 3 R 1397/06, SG Duisburg vom 2.7.2007 - S 21 R 145/07, SG Freiburg vom 14.6.2007 - S 6 R 886/07, SG Nürnberg vom 30.5.2007 - S 14 R 4013/07, SG Aachen vom 29.5.2007 - S 13 Kn 9/07, SG Saarbrücken vom 8.5.2007 - S 14 R 82/07, SG Augsburg vom 23.4.2007 - S 3 R 26/07, der Auffassung des 4. Senats des BSG angeschlossen haben sich hingegen insbesondere LSG Essen vom 9.5.2007 - L 8 R 353/06, LSG Saarbrücken vom 9.2.2007 - L 7 R 40/06, SG Mannheim vom 9.11.2007 - S 9 R 2887/07 und SG Lübeck vom 26.4.2007 - S 14 R 191/07).
2. § 77 Abs 2 SGB 6 verstößt nicht gegen Art 3 Abs 1, Abs 3 S 2 und Art 14 Abs 1 des GG.
3. Wollte man der Auffassung des 4. Senats des BSG folgen (vgl BSG vom 16.5.2006 - B 4 RA 22/05 R aaO), wonach der "Rentenabschlag" erst ab Vollendung des 60. Lebensjahres greifen soll, so würde die Vertrauensschutzregelung des § 77 Abs 4 SGB 6 idF vom 20.4.2007 in ihr Gegenteil verkehrt: Versicherte mit mindestens 40 Pflichtbeitragsjahren würden durch die Herabsetzung des 62. auf das 60. Lebensjahr nicht begünstigt, sondern benachteiligt, obwohl es für diesen Personenkreis beim bisherigen Recht bleiben soll.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 25.01.2008 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten im Rahmen eines Überprüfungsantrags nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) die Gewährung einer höheren Rente wegen voller Erwerbsminderung. Streitig ist insbesondere, ob die Beklagte berechtigt war, die persönlichen Entgeltpunkte der Klägerin unter Berücksichtigung eines verminderten Zugangsfaktors zu ermitteln.
Die Beklagte bewilligte der ... 1947 geborenen Klägerin mit bestandskräftigem Bescheid vom 08.03.2006 Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit ab dem 01.05.2004. Der Feststellung des Monatsbetrages der Rente legte die Beklagte 12,2827 persönliche Entgeltpunkte zugrunde, die sie aus 13,7698 Entgeltpunkten und einem Zugangsfaktor von 0,892 errechnete. Nach Anlage 6 des Bescheides vom 08.03.2006 verminderte sie den Zugangsfaktor, indem sie für jeden Kalendermonat nach dem 28.02.2007 (= Ende des Kalendermonats der Vollendung des 60. Lebensjahres) bis zum Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres den Faktor von 1,0 um 0,003 reduzierte, d. h. 36 x 0,003 (= 0,108). Vervielfältigt mit dem maßgeblichen aktuellen Rentenwert und dem Rentenartfaktor 1,0 ergab dies einen monatlichen Zahlbetrag von 320,95 ? (brutto). Im Versicherungsverlauf berücksichtigte die Beklagte eine Zurechnungszeit vom Eintritt der Erwerbsminderung am 14.04.2004 (= Tag der Antragstellung) bis zum Tag vor Vollendung des 60. Lebensjahres am 01.02.2007 (34 Monate).
Mit Schreiben vom 31.07.2006 beantragte die Klägerin unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 16.05.2006, B 4 RA 22/05 R, die Neuberechnung der Erwerbsminderungsrente im Rahmen des § 44 SGB X.
Mit Bescheid vom 25.04.2007 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil der Bescheid vom 08.03.2006 der geltenden Rechtslage entspreche. Der Auffassung des 4. Senats des Bundessozialgerichts in dem zitierten Urteil könne nicht gefolgt werden. Den hiergegen eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 02.08.2007 als unbegründet zurück.
Mit der am 07.08.2007 vor dem Sozialgericht Aachen erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt und die Gewährung der Rente wegen voller Erwerbsminderung ohne Abschläge beantragt. Sie hat sich dabei wiederum auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 16.05.2006 (s. o.) gestützt.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 25.01.2008 abgewiesen. Der zitierten Entscheidung des Bundessozialgerichts vermochte es sich nicht anzuschließen, sondern vielmehr der vielfachen Kritik in Literatur und Rechtsprechung an diesem Urteil. Es hat insbesondere auf den Terminsbericht des Bundessozialgerichts vom 29.01.2008 hingewiesen, wonach sich nunmehr auch der 5 a. Senat des Bundessozialgerichts gegen die Entscheidung des 4. Senats gestellt habe.
Gegen das ihrem Bevollmächtigten am 20.02.2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 28.02.2008 Berufung eingelegt. Sie stützt...