Entscheidungsstichwort (Thema)
Bildung des Gesamtgrades der Behinderung im Schwerbehindertenrecht
Orientierungssatz
1. Eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X liegt im Schwerbehindertenrecht vor, wenn geänderte gesundheitliche Verhältnisse einen um 10 höheren oder niedrigeren GdB begründen.
2. Die Bemessung des Gesamt-GdB ist in drei Schritten vorzunehmen und erfolgt grundsätzlich durch den Tatrichter. Im ersten Schritt sind die nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. Im zweiten Schritt sind diese den in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VMG) genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. Im dritten Schritt ist - ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB - in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der einzelnen Beeinträchtigungen der maßgebliche Gesamt-GdB zu bilden, wobei die Auswirkungen mit denjenigen verglichen werden, für die in der Tabelle der VMG feste GdB-Werte angegeben sind.
3. Aus einem Teil-GdB von 30 für eine psychische Erkrankung und einem solchen von 20 für ein Wirbelsäulenleiden ist ein Gesamt-GdB von 40 zu bilden. Weitere Funktionsbeeinträchtigungen, die jeweils mit einem GdB von 10 zu bewerten sind, führen nicht zur Bildung eines höheren Gesamt-GdB als 40.
4. Bei der Neufestsetzung des GdB wegen einer Änderung der Verhältnisse erfolgt keine reine Hochrechnung des im alten Bescheid festgestellten Gesamt-GdB. Dieser ist vielmehr unter Berücksichtigung der gegenseitigen Beeinflussung der verschiedenen Leiden neu zu ermitteln.
5. Ein Einzel-GdB von 20 in einem anderen Funktionsbereich führt nicht zwangsläufig zu einer Erhöhung des führenden Einzel-GdB.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 16.2.2016 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die zulässige, insbesondere gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG fristgerechte Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage statthafte Klage (vgl. BSG vom 17.4.2013 - B 9 SB 3/12 R, Rn. 24) zu Recht abgewiesen, da diese zwar zulässig, aber unbegründet ist. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, da diese rechtmäßig sind. Sie hat keinen Anspruch auf Feststellung eines Gesamt-GdB von mindestens 50.
Die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "G", bei der es sich um einen eigenen prozessualen Anspruch handelt (BSG vom 16.02.2012 - B 9 SB 48/11 B, Rn. 12), hat die Klägerin bereits im erstinstanzlichen Klageverfahren nicht mehr verfolgt.
Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 48 SGB X. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt. Eine wesentliche Änderung liegt im Schwerbehindertenrecht vor, wenn geänderte gesundheitliche Verhältnisse einen um 10 höheren oder niedrigeren GdB begründen (vgl. Teil A Nr. 7a Satz 1 VMG und etwa BSG vom 17.4.2013 - B 9 SB 3/12 R, Rn. 26). Vergleichsmaßstab sind die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Bescheides vom 16.9.2005. Im Vergleich der Verhältnisse am 16.9.2005 und denen im Zeitraum vom 29.11.2011 bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats am 24.2.2023 ist eine wesentliche Änderung in diesem Sinne lediglich insofern eingetreten, als der GdB im letztgenannten Zeitraum entsprechend der Feststellung der Beklagten im Abhilfebescheid vom 25.10.2012 (höchstens) 40 beträgt. Ein höherer GdB als 40 liegt dagegen nicht vor.
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der ab dem 1.1.2018 gültigen Fassung sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, § 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX in der ab dem 1.1.2018 gültigen Fassung (zuvor § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX). Nach § 241 Abs. 5 SGB IX in der ab dem 1.1.2018 gültigen Fassung (zuvor § 159 Abs. 7 SGB IX) gelten - in Ermangelung einer Verordnung nach § 153 Abs. 2 SGB IX - die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 des BVG erlassenen Rechtsverordnungen - insbesondere Anlage 2 zur Versorgungsmedizinverordnung (Versorgun...