Entscheidungsstichwort (Thema)

Erledigung des Verfahrens durch Klagerücknahme - Unanfechtbarkeit der Prozesshandlung

 

Orientierungssatz

1. Eine Klagerücknahme erledigt den Rechtstreit nach § 102 Abs. 1 S. 2 SGG in der Hauptsache. Sie ist von keiner Form anhängig; eine einfache Erklärung in der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Prozessgericht ist ausreichend.

2. Als Prozesshandlung ist die Klagerücknahme nicht anfechtbar. Weder das SGG noch die ZPO enthalten entsprechende Vorschriften.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 05.05.2021; Aktenzeichen B 3 P 20/20 B)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 11.11.2019 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass festgestellt wird, dass das vor dem Sozialgericht Köln unter dem Aktenzeichen S 9 P 211/16 geführte Verfahren wirksam beendet worden ist.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit einer Klagerücknahme.

Der 1951 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich pflegeversichert.

Mit seiner am 29.09.2016 vor dem Sozialgericht Köln erhobenen und dort unter dem Aktenzeichen S 9 P 211/16 geführten Klage hat er sich gegen die Ablehnung seines (am 25.04.2016 gestellten) Antrages auf Pflegeleistungen (durch Bescheid der Beklagten vom 24.05.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.09.2016) gewandt. Nachdem der gerichtlich bestellte Sachverständige (Dr. E) in seinem Gutachten (vom 27.01.2017) einen Pflegebedarf in der Grundpflege von lediglich 11 Minuten festgestellt hatte, hat der vom Kläger zwischenzeitlich mandatierte Prozessbevollmächtigte (vgl. Vollmacht vom 16.03.2017) - Rechtsanwalt F - die Klage im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 11.10.2017 zurückgenommen und zugleich einen Antrag auf Bewilligung von Leistungen nach dem ab dem 01.01.2017 geltenden Recht gestellt. Die Sitzungsniederschrift des beigezogenen Verfahrens, auf die ergänzend Bezug genommen wird, ist an den Kläger von seinem Anwalt weitergeleitet worden. Mit Schreiben vom 22.10.2017 hat der Kläger seinem Anwalt mitgeteilt, dass er mit der Klagerücknahme nicht einverstanden sei, er begehre "Rückversetzung in den vorigen Stand"; das Schreiben hat er zugleich dem SG übersandt. Das SG teilte dem Kläger mit, dass das Verfahren durch die anwaltliche Klagerücknahme beendet sei.

Der Kläger hat sich darauf durch erneute (mit Schreiben vom 23.11.2018 erhobene) Klage vor dem Sozialgericht gegen die Rücknahme seiner Klage auf Leistungen der sozialen Pflegeversicherung gewandt. Seit Februar 2017 erhalte er von der Beklagten einen monatlichen Entlastungsbetrag von EUR 125,00 für 60 Stunden im Monat im Rahmen der Nachbarschaftshilfe nach § 45b Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI), der für die Pflegeperson einen unter dem Mindestlohn liegenden Stundenlohn von EUR 2,00 bedeute. Er benötige insbesondere Mobilitätsbegleitung, die nur von wenigen Pflegediensten zu deutlich teureren Bedingungen angeboten würde. Die rückwirkende Leistungsgewährung sei ihm durch die Rücknahme seiner berechtigten Klage ebenso "verbaut" worden wie die Berufung vor dem Landessozialgericht. Sein Rechtsanwalt habe es versäumt vorzutragen, dass er über einen anerkannten Grad der Schwerbehinderung von 100 (Merkzeichen G und B) verfüge. Dr. E habe ihn nach den Kriterien der Pflegestufen begutachtet, obwohl seit dem 01.01.2017 das neue Recht anzuwenden gewesen sei. Da ihm seine Rechtsschutzversicherung die Kostenzusage verweigere, sehe er sich gezwungen, persönlich zu klagen.

Der Kläger hat den Sachverhalt überdies auch dem Bundessozialgericht zur Kenntnis gebracht.

Der Kläger hat sinngemäß beantragt,

festzustellen, dass die Klage unter dem Az. S 9 P 211/16 nicht erledigt ist und ihm rückwirkend Leistungen der sozialen Pflegeversicherung zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, der Rechtsstreit S 9 P 211/16 - der auch materiell nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme keine Erfolgsaussichten versprochen hätte - sei aufgrund der Rücknahme der Klage durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers wirksam beendet. Ergänzend hat sie erläutert, dass sie dem Kläger nach entsprechender Begutachtung durch den Medizinischen Dienst aus 2018 mittlerweile aufgrund bestandskräftigen Bescheides vom 19.01.2018 rückwirkend seit dem 20.01.2017 Leistungen nach dem Pflegegrad 1 gewähre.

Nach vorheriger Anhörung der Beteiligten (vgl. Richterbrief vom 09.07.2019) hat das Sozialgericht die Klage durch Gerichtsbescheid vom 11.11.2019 abgewiesen. Die Klage sei unzulässig. Der unter dem Aktenzeichen S 9 P 211/16 geführte Rechtsstreit sei durch die von Rechtsanwalt F erklärte Klagerücknahme gem. § 102 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erledigt. Nach der vorliegenden Prozessvollmacht bestünden keinen Zweifel an der Befugnis des Anwalts auch prozessbeendende Erklärungen abzugeben. Diese Erklärung müsse sich der Kläger auch zurechnen lassen. Als Prozesshandlung sei sie nach ständiger höchs...

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