Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsprüfung. Beitragsnachforderung. Tätigkeit als medizinische Assistentin in einer hausärztlichen Gemeinschaftspraxis. Ausübung mehrerer geringfügiger Nebenbeschäftigungen neben einer versicherungspflichtigen Hauptbeschäftigung. Zusammenrechnungsgebot. Auslegung der Ausnahmeregelung in § 8 Abs 2 S 1 Halbs 2 SGB 4. Verfassungsmäßigkeit. Anwendungsbereich der Ausnahmeregelung des § 8 Abs 2 S 3 SGB 4
Orientierungssatz
1. Übt ein Beschäftigter neben seiner versicherungspflichtigen Hauptbeschäftigung mehrere weitere geringfügige Nebenbeschäftigungen aus, so ist nach § 8 Abs 2 S 1 SGB 4 nur eine einzige dieser Tätigkeiten vom Zusammenrechnungsgebot ausgenommen. Das gilt unabhängig davon, ob die nebeneinander ausgeübten geringfügigen Beschäftigungen in der Addition ihrer Entgelte die Entgeltgeringfügigkeitsgrenze des § 8 Abs 1 Nr 1 SGB 4 nicht überschreiten.
2. Die dargelegte Auslegung der Ausnahmeregelung in § 8 Abs 2 S 1 Halbs 2 SGB 4 in Bezug auf das Wort "einer" als Zahlwort verstößt nicht gegen Art 3 Abs 1 GG.
3. Zum Anwendungsbereich der (Sonder-)Regelung des § 8 Abs 2 S 3 SGB 4.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 20.08.2018 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 69,18 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Betriebsprüfungsverfahrens nach § 28p Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) über eine Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung in Bezug auf die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) bei der Klägerin im Zeitraum von April bis Oktober 2013.
Bei der Klägerin handelt es sich um eine hausärztliche Gemeinschaftspraxis in der Form einer Gesellschaft Bürgerlichen Rechts (GbR), die von der einzelvertretungsbefugten Gesellschafterin Frau U. J. vertreten wird. Die Beigeladene zu 1) (im Folgenden: E.) war vom 01.04.2013 bis zum 31.10.2013 bei der Klägerin als medizinische Assistentin beschäftigt (Arbeitsvertrag vom 01.04.2013). Ihre Tätigkeit umfasste durchschnittlich zwei Stunden pro Woche für ein monatliches Entgelt von 72 Euro bzw. 80 Euro ab September 2013. Ausweislich Ziff. 8 des Arbeitsvertrags übte E. zum Zeitpunkt der Aufnahme ihrer Beschäftigung bei der Klägerin bereits zwei sozialversicherungspflichtige Hauptbeschäftigungen und eine weitere (mit 240 Euro monatlich) geringfügig entlohnte Beschäftigung aus. Im streitigen Zeitraum entrichtete die Klägerin für E. Pauschalbeiträge zur Kranken- und Rentenversicherung an die Beigeladene zu 4).
Am 25.09.2017 führte die Beklagte bei der Klägerin eine Betriebsprüfung für die Jahre 2013 bis 2016 durch. Nach mündlicher Schlussbesprechung vom selben Tag erhob sie mit Bescheid vom 30.11.2017 eine Nachforderung in Höhe von insgesamt 913,71 Euro einschließlich Säumniszuschlägen. Diese Forderung enthielt - neben einer Nachforderung für eine weitere Beschäftigte - eine Beitragsnachforderung für die Tätigkeit der E. zur gesetzlichen Renten-, Kranken- und sozialen Pflegeversicherung sowie für die Umlagen U1 und U2 in Höhe von insgesamt 69,18 Euro. Die von der Klägerin gegenüber der Beigeladenen zu 4) bereits nachgewiesenen Beiträge wurden dabei berücksichtigt. Für das Arbeitsentgelt aus der ersten geringfügig entlohnten Nebenbeschäftigung seien ab 01.04.2003 auch für einen Arbeitnehmer mit sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung im Hauptberuf Pauschalbeiträge zu zahlen. Jede weitere geringfügig entlohnte Beschäftigung unterliege (mit Ausnahme der Arbeitslosenversicherung gem. § 27 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - SGB III) nach § 8 Abs. 2 SGB IV vollumfänglich der Versicherungs- und Beitragspflicht. Die Klägerin habe ausweislich des Arbeitsvertrags schon zu Beginn der Beschäftigung der E. von den anderen Arbeitsverhältnissen gewusst.
Ihren gegen diesen Bescheid gerichteten Widerspruch vom 07.12.2017 begründete die Klägerin im Hinblick auf die die E. betreffende Nachforderung damit, dass nach § 8 Abs. 2 SGB IV mehrere geringfügige Beschäftigungen addiert würden. Zweifelsfrei überschreite die geringfügige Beschäftigung der E. auch addiert nicht die Obergrenze für eine geringfügige Beschäftigung gem. § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV. Ebenfalls werde darauf hingewiesen, dass eine weitere bei der "mündlichen Schlussbesprechung" anwesende Personen im Prüfbescheid nicht erwähnt sei. Diese Besprechung erfülle im Übrigen nicht die vom Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 09.11.2010 (Az. B 4 AS 37/09 R) für derartige Anhörungen aufgestellten Anforderungen. Dies gelte bereits insoweit, als dort eine Rechtsgrundlage für die angebliche Versicherungspflicht der E. trotz mehrfacher ausdrücklicher Aufforderung nicht benannt worden sei. Daher werde auch ein Verstoß gegen die Anhörungspflicht nach § 24 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gerügt.