Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Nothilfe. Erstattungsanspruch eines Krankenhausträgers wegen stationärer Krankenhausbehandlung. Hilfebedürftigkeit des Patienten. Beweislast. Abgrenzung zum Leistungsanspruch des Hilfebedürftigen. Kenntnis des Sozialhilfeträgers vom Leistungsfall
Orientierungssatz
1. Die materielle Beweislast für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen trägt der Nothelfer. Verschafft er dem Sozialhilfeträger aber die Kenntnis vom Eilfall, obliegt diesem die weitere Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen (vgl BSG vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R = BSGE 117, 261 = SozR 4-3500 § 25 Nr 5, RdNr 17). Kommt der Sozialhilfeträger seiner Aufklärungspflicht nur unzureichend nach, muss er dies im Rahmen der Beweiswürdigung gegen sich gelten lassen (vgl BSG vom 27.5.1997 - 2 RU 38/96 = SozR 3-1500 § 128 Nr 11 RdNr 23).
2. Der Nothelferanspruch besteht in Abgrenzung zum Anspruch des Hilfebedürftigen nur, solange der Sozialhilfeträger keine Kenntnis vom Leistungsfall hat und ein Anspruch des Hilfebedürftigen gegen den Sozialhilfeträger (allein) deshalb nicht entsteht (§ 18 Abs 1 SGB 12). Die Kenntnis des Sozialhilfeträgers bildet damit die Zäsur für die sich gegenseitig ausschließenden Ansprüche des Nothelfers und des Hilfebedürftigen (vgl BSG vom 23.8.2013 - B 8 SO 19/12 R = BSGE 114, 161 = SozR 4-5910 § 121 Nr 1, RdNr 18).
Tenor
Auf die Anschlussberufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 19.12.2017 geändert. Die Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 06.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2017 verurteilt, der Klägerin 315,19 Euro zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu einem Siebtel. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Das klagende Universitätsklinikum begehrt als Nothelferin i.S.d. § 25 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) Kostenerstattung für die Behandlung einer Obdachlosen.
Am Abend des 29.06.2016 traf die Polizei Frau N E (eine rumänische Staatsangehörige, *00.00.1987; fortan: Patientin), im L-Park in B an. Die Patientin war stark alkoholisiert (Blutalkoholkonzentration von min. 2,6 ‰) und stand zudem unter dem Einfluss von Cannabinoiden. Sie war in einem ungepflegten Zustand und nur mit einer Bikinihose sowie einem Top bekleidet. Ihr Verhalten war massiv erregt und eigen- wie fremdaggressiv. Sie bespuckte und schlug nach den Polizisten wie auch den hinzugezogenen Rettungskräften.
Die Patientin wurde noch am selben Tag um 23:07 Uhr vom Rettungsdienst unter Begleitung der Polizei in das klagende Universitätsklinikum eingeliefert. Dort musste sie aufgrund ihrer Erregung und Aggressivität mechanisch eingegrenzt werden. Weil die Patientin nicht ansprechbar war und zudem fortwährend ihren Kopf gegen das Bett schlug, wurde ihr im Verlauf zudem ein Neuroleptikum (10 mg Haloperidol) verabreicht. Die Ordnungsbehörde der beklagten Stadt veranlasste noch in der Nacht auf den 30.09.2016 ihre sofortige Unterbringung aufgrund des Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten des Landes Nordrhein-Westfalen (PsychKG). Die Patientin wurde daraufhin unter der Hauptdiagnose einer akuten Intoxikation (ICD-10-GM: F10.0) einstweilen auf der psychiatrischen Intensivstation der Klägerin untergebracht. Das Amtsgericht - Betreuungsgericht - B ordnete ihre Unterbringung bis 14.10.2016 an (Beschluss vom 30.09.2016, 00 XIV(L) 00/18 D).
Am 30.09.2016 um 08:21 Uhr zeigte die Klägerin dem Sozialamt der Beklagten die stationäre Aufnahme der Patientin an und bat um Kostenzusage. Die Beklagte bat die Klägerin daraufhin (mit Schreiben vom 05.10.2016) um Auskunft u.a. dazu, wovon die Patientin in den letzten sechs Monaten ihren Lebensunterhalt sichergestellt habe; diese Punkte möge die Klägerin mit der Patientin erörtern und die Ergebnisse der Beklagten zukommen lassen. Die Klägerin übersandte der Beklagten daraufhin einen auch von der Patientin unterzeichneten Vordruck, in dem diese u.a. angab, vor dem Krankenhausaufenthalt von "100 Euro von den Eltern" gelebt zu haben; als Anschriften wurden die eines "Freundes" sowie die der Obdachloseneinrichtung "D" angegeben.
Am 05.10.2016 wurde die Patientin entlassen; eine weitere stationäre Behandlung wegen der bestehenden Alkoholproblematik sowie psychosozialer Belastungen lehnte sie ab.
Die Beklagte lehnte die Übernahme der Kosten für die stationäre Behandlung der Patientin von insgesamt 2.206,33 Euro ab (Bescheid vom 06.10.2016). Die Klägerin widersprach u.a. mit der Begründung, eine Mitarbeiterin des "D" habe ihr auf Nachfrage bestätigt, dass die Patientin noch im November 2016 dort übernachtet habe und außerdem mittel- und wohnungslos sei. Auch bei der Polizei sei das "D" als Anschrift der Patientin hinterlegt. Die Stadt B wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 14.02.2017). Es sei nicht nachgewiesen, dass die Patientin hi...