Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen der Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung nach dienstlich veranlasster Impfung
Orientierungssatz
1. Für die Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung nach § 85 Abs. 1 SVG muss ein mit dem Wehrdienst zusammenhängender schädigender Vorgang zu einer primären Schädigung führen, die wiederum die Schädigungsfolge bedingt. Für den ursächlichen Zusammenhang zwischen schädigendem Vorgang, primärer Schädigung und erster Schädigungsfolge ist eine hinreichende Wahrscheinlichkeit erforderlich, § 81 Abs. 6 S. 1 SVG.
2. Fehlt es nach einer dienstlich veranlassten Impfung am Nachweis einer primären Gesundheitsstörung i. S. einer unüblichen Impfreaktion, so fehlt es an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zur Anerkennung eines Wehrdienstschadens.
3. Gegen die Wahrscheinlichkeit einer Verursachung der geltend gemachten Erkrankung durch die Impfung spricht ein fehlender plausibler Zusammenhang. Ein solcher setzt eine Latenz von zwei bis maximal acht Wochen voraus.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 18.02.2020 geändert und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Klägers sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um Ausgleich nach § 85 des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Der am 00.00.1970 geborene Kläger ist Oberstleutnant im Generalstab. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. 2011 wurde er im Rahmen des ISAF-Einsatzes der Bundeswehr nach Afghanistan abkommandiert. In Vorbereitung des Einsatzes erfolgten zwischen dem 06.01.2011 und dem 07.02.2011 Impfungen mit den Präparaten Begrivac, Revaxis, Tivinrix, Encepur, Rabipur, Typherix, Mencevax (wegen der Chargennummern, der Daten der einzelnen Impfungen und der Fachinformationen wird auf Bl. 75 ff., 139 ff., 292 ff. der Verwaltungsakte und Bl. 103 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen). Der Kläger absolvierte zudem vier vorbereitende Übungen (28.02.-04.03.2011, 11.04.-15.04.2011, 24.05.-27.05.2011 und 02.07.-15.07.2011). Von März bis Juli 2011 wurde der Kläger zahnärztlich behandelt. Am 09.08.2011 wurde der Kläger nach Afghanistan verlegt. Ab dem 27.09.2011 wurde der Kläger vom Sanitätsdienst in N wegen einer Glossopharyngeusparese rechts partiell sowie einer Stimmstörung behandelt. Er habe Lautbildungsstörungen nach Injektion eines Lokalanästhetikums im Rahmen der Zahnbehandlung in Deutschland angegeben, die sich im Zusammenhang mit einem Infekt zu Beginn des Einsatzes in Afghanistan verstärkt hätten. Am 19.10.2011 wurde der Kläger repatriiert. Im Rahmen mehrerer ambulanter und stationärer Behandlungen, insbesondere in der Medizinischen Hochschule I, konnte der Ursprung der Beschwerden nicht weiter aufgeklärt werden. Der Kläger gab durchgehend an, die Beschwerden hätten im zeitlichen Zusammenhang mit den Zahnbehandlungen Mitte 2011 begonnen. Im Behandlungsbericht der Medizinischen Hochschule I vom 18.01.2012 heißt es zum Ergebnis eines rheumatologischen Konsils: "Eine Impfreaktion in dieser Art scheint untypisch und trotz der zeitlich in etwa passenden Assoziation eher unwahrscheinlich." Es werde aber eine Verdachtsmeldung im Hinblick auf die FSME- und Tollwut-Impfung empfohlen. Zum Ergebnis eines psychosomatischen Konsils heißt es im selben Bericht: "Herr S. habe 2 Monate vor einem Afghanistan-Einsatz... eine Kronenbehandlung gehabt. Nach der Behandlung habe er Intonationsstörungen beim Vorlesen bemerkt."
Am 13.06.2012 erfolgte eine erste Mitteilung über eine mögliche Wehrdienstbeschädigung durch das Fachsanitätszentrum I. Am 18.09.2012 teilte ein Naturheilpraktiker dem Fachsanitätszentrum mit, er gehe u.a. aufgrund einer "Irisdiagnostik" davon aus, dass die Dysarthrie Folge der Impfungen Anfang 2011 sei. Die Beklagte zog diverse Behandlungsunterlagen und einen Bericht des ehemaligen Kommandeurs des Klägers, Brigadegeneral X, bei. Anfang 2013 teilte die Medizinische Hochschule I mit, es liege eine Kleinhirnpathologie nahe. In einer selbst verfassten Stellungnahme erklärte der Kläger 2013, Ende Juni 2011 sei es im Rahmen der Zahnbehandlung zu Problemen beim Spritzen eines Betäubungsmittels gekommen. Objektiv habe es zu diesem Zeitpunkt noch keine Beeinträchtigungen gegeben. Auch die Stabsausbildung im Juli 2011 habe unbeeinträchtigt durchgeführt werden können. In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme führte der Sozialmediziner Dr. T aus, trotz umfangreicher Diagnostik sei eine Ursache der Leiden nicht gefunden worden, weswegen es bereits an einem verlässlichen Ausgangspunkt für Kausalitätsüberlegungen fehle. Soweit eine Kleinhirnpathologie vermutet werde, sei ein Zusammenhang mit der Zahnbehandlung auszuschließen. Ein Zusammenhang mit den Impfungen sei möglich, aber nicht wahrscheinlich. Ein Primärschaden sei nicht dokumentiert. Mit Bescheid vom 17.04.2014, dem Kläger ausgehändigt am 28.04.2014, lehnte die Beklagte die Gewährung von Ausgleich ab.
Der Kläger legte a...