Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen einer Rückforderung von vorläufig gezahltem Kinderzuschlag

 

Orientierungssatz

1. § 11 Abs. 5 BKGG lässt die vorläufige Bewilligung von Kinderzuschlag mit Erstattungspflicht bei nicht zustehenden Leistungen in entsprechender Anwendung von § 41a SGB 2 zu. Die Regelung gilt seit dem 1. 8. 2016.

2. Für den Zeitraum davor ist die Nebenbestimmungsregelung des § 32 Abs. 1 SGB 10 maßgebend. Danach kann die Behörde einen Verwaltungsakt bereits dann erlassen, wenn noch nicht alle Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Bei einer Vorwegzahlung muss i. S. von § 33 SGB 10 hinreichend erkennbar bestimmt sein, dass der Bewilligung des Kinderzuschlags eine Prognose der maßgeblichen Einkommensentwicklung zugrunde liegt, aber die einen Vorbehalt rechtfertigende Unsicherheit besteht (BSG Urteil vom 2. 11. 2012, B 4 KG 2/11 R).

3. Der Bescheid muss deutlich als Vorwegzahlungsbescheid gekennzeichnet sein. Im Übrigen ist zu dessen Erlass erforderlich, dass kein konstantes monatliches Bruttoeinkommen bezogen wird. Sind Anhaltspunkte für eine Einkommensänderung nicht ersichtlich, so ist der Erlass eines Vorwegzahlungsbescheides ausgeschlossen.

4. In einem solchen Fall ist die Anwendung von § 48 SGB 10 ausgeschlossen.

5. Ebenso ist § 330 Abs. 2 SGB 3 nicht entsprechend anwendbar. Das BKGG enthält keine § 40 SGB 2 entsprechende Verweisungsnorm auf § 330 SGB 3.

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 31.05.2016 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten der Klägerin auch im Berufungsverfahren zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Aufhebung und Rückforderung von Kinderzuschlag für die Zeit von April 2011 bis Februar 2012 iHv 3.080 EUR.

Die am 00.00.1989 geborene Klägerin ist die Mutter von zwei am 00.00.2008 und 00.00.2009 geborenen Kindern. Im streitigen Zeitraum lebte die Klägerin zusammen mit den Kindern und dem Vater der Kinder, ihrem Ehemann, in einem Haushalt. Die Familie lebte in einer Mietwohnung. Der Ehemann verfügte über Einkommen aus einem Beschäftigungsverhältnis. Bis zum 30.09.2010 bezog die Klägerin Arbeitslosengeld II. Am 11.10.2010 beantragte die Klägerin Kinderzuschlag. Sie gab eine Erklärung über die Unterkunftskosten, eine Erklärung, nicht über Vermögen zu verfügen sowie eine Verdienstbescheinigung des Arbeitgebers des Ehemannes (1.650 EUR regelmäßiger Brutto-Monatsverdienst) ab. Aufgrund dieser Unterlagen bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 20.10.2010 Kinderzuschlag von Oktober 2010 bis März 2011 iHv monatlich 240 EUR. Die Beklagte stellte den Bescheid unter einen Rückforderungsvorbehalt sobald feststehe, welches Einkommen im Bewilligungszeitraum tatsächlich erzielt worden ist. Mit Schreiben vom 14.04.2011 forderte die Beklagte zur Prüfung eines Anspruchs auf Kinderzuschlag ua Einkommensnachweise von Oktober 2010 bis März 2011 sowie weitere Nachweise. Außerdem übersandte die Beklagte einen Fragebogen zum Anspruch auf Kinderzuschlag ab April 2011. Die Klägerin übersandte die angeforderten Unterlagen.

Mit Bescheid vom 13.05.2011 bewilligte die Beklagte Kinderzuschlag für beide Kinder iHv monatlich insgesamt 280 EUR für April 2011 bis März 2012. Im Gegensatz zu dem Bescheid vom 20.10.2010 enthielt der Bescheid keinen Rückforderungsvorbehalt, sondern nur die Formulierung "Die erforderlichen Unterlagen zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Zahlung und für eine evtl. Weiterzahlung werden Ihnen rechtzeitig vor Ablauf des o. g. Bewilligungsabschnitts unaufgefordert übersandt."

Im März 2012 endete die Beschäftigung des Ehemanns, daher bezog die Klägerin ab 01.03.2012 Arbeitslosengeld II.

Am 27.02.2012 und mit Erinnerungen vom 12.04.2012 und vom 24.04.2012 forderte die Beklagte bei der Klägerin folgende Unterlagen an: "Fragebogen zur Prüfung des Anspruchs, Lohnabrechnungen des Ehemanns ab April 2011 bis laufend, Nachweis über den Bezug weiterer Sozialleistungen, Erklärung zu den KdU mit Nachweisen für 2012".

Nachdem die Klägerin nicht reagiert hatte, hob die Beklagte mit Bescheid vom 09.05.2012 den Kinderzuschlag von April 2011 bis Februar 2012 gestützt auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X auf und forderte gem. § 50 Abs. 1 SGB X die Erstattung von 3.080 EUR. Der Bescheid wurde mit einfacher Post abgeschickt.

Da die Klägerin keine Zahlung leistete, betrieb die Beklagte die Vollstreckung des Erstattungsbetrags. Im Rahmen dieses Verfahrens teilte der Bevollmächtigte der Klägerin der Beklagten im April 2014 mit, ein Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid sei der Klägerin nicht zugegangen. Sie habe zudem zu keinem Zeitpunkt Anspruch auf Kinderzuschlag gehabt, da sie seit der Geburt der Kinder immer Arbeitslosengeld II bezogen habe.

Mit Schreiben vom 08.09.2014 übersandte die Beklagte den Bescheid vom 09.05.2012 an die Klägerin. Die Klägerin legte mit Schreiben vom 21.09.2014 Widerspruch ein. Sie habe keinen Zugriff auf das Konto gehabt, das allein der mittlerweile getrennt lebende Ehemann geführt habe. ...

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