Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch des unfallgeschädigten Versicherten auf Gewährung von Rente bzw. Verletztengeld

 

Orientierungssatz

1. Nach § 56 Abs. 1 SGB 7 hat der Versicherte Anspruch auf Rente, wenn dessen Erwerbsfähigkeit infolge des Arbeitsunfalls über die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 % gemindert ist. Die für die Kausalität von Unfallereignis und Unfallfolge erforderliche hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht.

2. War das Unfallereignis zwar geeignet, eine psychische Reaktion hervorzurufen, besteht bei dem Versicherten aber eine unfallunabhängige psychische Erkrankung und sind die geltend gemachten Gesundheitsstörungen durch die Persönlichkeit des Versicherten bedingt, so ist das Unfallereignis lediglich geeignet, eine vorübergehende Belastungsreaktion hervorzurufen.

3. Die Gewährung von Verletztengeld setzt nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 SGB 7 das Bestehen unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit voraus. Nach der unfallversicherungsmedizinischen Fachliteratur klingt eine Reaktion auf eine außergewöhnliche physische oder psychische Belastung regelmäßig innerhalb von Tagen, längstens nach vier Wochen ab.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 20.04.2017; Aktenzeichen B 2 U 21/17 B)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 07.05.2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Verletztenrente; außerdem wendet er sich gegen die Rückforderung von Verletztengeld.

Der 1963 geborene Kläger machte 1983 Abitur und studierte anschließend bis 1992 Wirtschaftswissenschaften. Einen Abschluss machte er nicht. Seit 1992 ist er als Taxi- und Mietwagenunternehmer tätig. Von 2005-2007 betrieb er eine Sport- und Pferdewettannahmestelle, die 2007 durch die Stadt M geschlossen wurde. Ab 2008 betrieb er die Wettannahmestelle als Franchisenehmer weiter.

Der Kläger war als Taxifahrer bei der Beklagten unfallversichert. Am 12.02.2012 (Freitag nach Weiberfastnacht) wurde er bei Antritt einer Fahrt, bei der er lernbehinderte Kinder und Jugendliche (6 bis 14 Jahre) von der Schule nach Hause fahren sollte, noch auf dem Schulgelände von einem Schüler mit einer Pistole aus Plastik bedroht. Der Schüler setzte die Waffe an die Schläfe des Klägers. Der Kläger konnte im ersten Moment nicht sehen, dass es sich um eine Attrappe handelte. Er nahm dem Schüler die Pistole ab und führte die Rückfahrt der Schüler von der Schule nach Hause durch. Einen Arzt suchte der Kläger anschließend nicht auf. Dementsprechend wurde auch keine Arbeitsunfähigkeit attestiert. Auch eine Strafanzeige gegen den Schüler erstattete er nicht. Am 16.02.2010 (Karnevalsdienstag) wurde er bei der Schuldirektorin einbestellt, die Auskunft über das Ereignis am 12.02.2010 haben wollte. Bei dem Gespräch erlitt er einen Zusammenbruch und wurde per Krankentransport in die kardiologische Abteilung des St. K-Hospitals in C gebracht. Anschließend wurde er in der LWL-Universitätsklinik C, Abteilung Psychiatrie Psychotherapie Psychosomatik, aufgenommen. Dort wurde er bis zum 09.04.2010 zu Lasten der Beklagten stationär behandelt. Anschließend erfolgte, ebenfalls zu Lasten der Beklagten, eine psychotherapeutische Behandlung durch die Diplom-Psychologin L und die Ärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie B. Für die Zeit ab dem 16.02.2010 erhielt der Kläger Vorschüsse auf Verletztengeld.

Der Kläger gab an, er habe die Rückfahrt von der Schule nur unter größter Anstrengung und mit mehrfachen Unterbrechungen durchführen können. Anschließend sei er bis zum 16.02.2010 außerstande gewesen, das Wochenende allein in seiner Wohnung zu verbringen. Deshalb sei er von seinen Eltern betreut worden. Die erneute Konfrontation mit dem Ereignis in Gegenwart der Schulleiterin und der Schulsekretärin habe zu einem völligen Zusammenbruch geführt, sodass diese den Notarzt verständigt hätten.

Den Gesprächsnotizen der Schulsekretärin und der Sonderschuldirektorin vom 16.02.2010 ist Folgendes zu entnehmen: Der Kläger habe bei dem Gespräch am 16.02.2010 berichtet, dass ihm plötzlich von einem Schüler seitlich eine Pistole an die Stirn gedrückt worden sei. Er habe sich sehr erschreckt, vor allem weil das seine große Angst sei, im Taxi überfallen und mit einer Pistole bedroht zu werden bzw. eine Stahlschlinge um den Hals zu bekommen. Erst dann habe er gemerkt, dass es ein Schüler gewesen sei und es sich nur um einen Attrappe gehandelt habe. Er habe vor Aufregung geweint und habe zunächst nicht losfahren können. Später habe er auf der Autobahn anhalten müssen. Er habe Kopfschmerzen gehabt, ihm sei schwindelig gewesen und er habe wieder weinen müssen. Das ganze Wochenende habe er im Bett gelegen und es sei ihm sehr schlecht gegangen. Während des Gesprächs habe sich der Zustand des Klägers verschlechtert. Er habe nicht mehr antworten können und habe teilnahmslos auf den Stuhl gesessen...

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